
Sonnabend, 7. Februar.
Während der Nacht fuhren Ihre Hoheiten in Equipagen aus Madras nach Guindy, der zehn
Kilometer entfernten Landresidenz des Gouverneurs. Der Weg dahin führte durch endlose Vorstädte,'
dichtgewölbte Alleen, ein fremdartiges Mittelding zwischen Stadt und Wald, dessen
Ende nicht abzusehen war.- . .
Am frühen Morgen heisst es vor allem- sieh sputen, um in die wunderbaren Gärten hinter
dem Palaste zu gelangen, die durch .ihre fremden und einheimischen Pflanzen weit berühmt sind.
Die durch ihren Umfang in Erstaunen setzenden Exemplare der Victoria regia 'mit einem Blattdurchmesser
von mehr, als einem Meter, • wohlriechende weisse Blumen vom Amazonenstrom,
purpurrothe- Lotosblumen, Palmen von Madagaskar-— wie sehr verwöhnt doch diese Tropenflora
unsern Blick! Trotz des Mangels eines Horizonts hinter dem undurchdringlichen Laubdach macht
der Garten einen grandiosen Eindruck.
Der ganze Tag ist der Erholung, gewidmet, abgesehen.von einer leichten Jagdpartie in den
angrenzenden wohlunterhaltenen Wildpark mit einer Menge Rebhühner und Hasen und mit
500 Antilopen. (Capra bezoartica), die von den Brahmanisten verehrt werden, sowie mit Axis-
Hirschen (Axis maculatus).
Um Mittag producirt ein Trupp kläglich aussehender Tausendkünstler auf der' weiten
bedeckten Terrasse vor der Paradetreppe des Palastes seine ziemlich complicirte Kunst. In.ganz
Indien hatten wir bisher noch nicht, -so viel Behendigkeit in Verbindung, mit etwas fast'Ueber-
natürlichem beobachtet, das ich schlechterdings nicht zu bestimmen wage.
Die halbnackten Eingeborenen setzen sich zwei Schritte weit von uns, nachdem sie auf
eine Stufe der- Treppe einen schmutzigen Sack mit Geräthen gestellt haben, dazu zwei Körbchen
mit Schlangen, ferner einen Lappen mit Erde, aus welcher plötzlich ein Mangobäumchen hervor-
spriessen soll. Bis diese Künstler mit ihren Vorbereitungen fertig sind, werfen athletische
gedrungene Gestalten, die des Meisseis eines Michelangelo würdig wären, grosse Kokosnüsse
in die Luft empor, fangen sie .mit ihrem Schädel auf und spalten sie so. Die zum Spass
vorgeführten Aeffchen, die höchst drollig als Teufelsverelirer, d. h. als die brahmanische Welt nicht
anerkennende . Eingeborene, aufgeputzt sind, lecken begierig die aus den Kokosnüssen hervor-^
quellende Milch und heben Stückchen der dicken Schale auf, alsdann beginnen sie, zu allgemeinem
Ergötzen ernst den mystischen charakteristischen Tanz der Teufels Verehrer und Zauberer', dieser
südindischen Schamanen, nachzuahmen. Leute, die soeben den Beweis der ungewöhnlichen
Festigkeit ihres Schädels abgelegt haben, nehmen, als ob:, weiter nichts gewesen. sei, theil an
der allgemeinen Freudigkeit. Auf einmal fängt einer der Tausendkünstler mit nackten Armen an,
eine Reihe kleinerer Gegenstände — man begreift nicht wie und woher, nicht aus den Aermeln,
denn er .hat keine, auch nicht aus dem Lendenschurz, seiner einzigen Kleidung 3 hervorzuziehen;
es sind hauptsächlich Steinchen. Mehrere derselben beginnen auf das Wort des Gauklers sich zu
bewegen,, ohne dass er sie auch nur im geringsten berührt hätte. Plötzlich.schiebt sich mitten
unter sie ein lebendiges, ganz erschöpftes Vögelchen. Der Deckel eines der Körbchen öffnet sich
halb, und eine Kobra streckt, mehr verwundert als erzürnt, ihren Kopf daraus hervor, schaukelt
sieb gemessen nach den einschläfernden Klängen der Sackpfeife des Meisters und zieht sich
leise wieder in den Korb zurück, gleich als ob sie der Stimme und dem Willen des Menschen
gehorche. Diese Schlangen sollen keineswegs harmlos und ihrer Giftdrüsen beraubt sein, sondern
sind nur durch die besondere Kraft des zigeunerischen Magnetiseurs gebannt, der von der Natur
mit der Gabe ausgestattet.- worden ist, alles was: da. kreucht zu zähmen. Schliesslich aber tödten
diese: Schlangen die vertrauensseligen Bändiger dennoch, wenn diese ihre Gewalt über, das Gewürm
auch nur auf einen Augenblick verlieren.
DIE THEOSOPHISCHE GESELLSCHAFT IN MADRAS.