
Gouverneur von Madras und Feldherr sitzt, ist ungesattelt. In der ganzen Figur des Reiters,
einer Arbeit von Chantrey, liegt erstaunlich viel Energie. Ist es doch auch Munro gewesen, der
im Jahre 1764 in Bengalen herzloser als irgendeiner seiner Landsleute fahnentreue und kühne
Sipahis vor die Kanonen binden liess, nur um eines leisen Murrens willen, das sich in ihren
Reihen hatte vernehmen lassen, weil nach den durch ihren Heldenmuth davongetragenen Siegen die
den weissen Soldaten gebotene Belohnung fast siebenmal die der Eingeborenen überstieg. Sogar
englische Soldaten, die auf dem Paradefelde solchen grässlichen Schauspielen beiwohnen mussten,
wurden über diese Strafvollstreckung manchmal zu Thränen gerührt Der Commandeur machte
dessenungeachtet vom Rechte des Starkem Gebrauch und vollzog im Namen des Ruhmes diese
schauderhafte Maassregel. Die Opfer liessen sich mit stolzer Verachtung gegen ihre Henker mhig
vor die Kanonen binden; wenn der vom Schuss aufsteigende Rauch sich zerstreut hatte, sah
man auf der Erde nur noch die zuckenden Glieder des Unglücklichen. Zur grössern Abschreckung
des tief niedergeschlagenen Volkes und der ihren Ingrimm verbeissenden Sipahis liess Munro die
Verurtheilten zuerst von einem Richtplatz zum ändern schleppen und fuhr dabei mit dem Er-
schiessen allmählich fort, wobei er Kanonen auch gegen die in verdächtiger Stimmung versammelten
bewaffneten Eingeborenen richtete. Die erleuchteten Colonisatoren haben dieses Strafverfahren
zwar aus der Zeit der Moguls übernommen, aber es kann,,dasselbe in den Augen der
christlichen Welt dadurch nicht gerechtfertigt werden, und doch haben die Behörden des Pendschab
sich noch in den achtziger Jahren dieses Mittels bedient, um sich die „Kukhs“ , eine Sekte der
Sikhs mit Secessionsgelüsten, vom Halse zu schaffen. Vae victis! . . .
Madras ist ziemlich farblos. Ungeachtet seiner 250jährigen Unterthanenschaft unter englischer
Verwaltung hat es nur in geringem Maasse abendländische Züge angenommen und trotzdem
fast jedes Localcolorit beträchtlich eingebüsst Die gelben niedrigen Gebäude, die sengende
Sonne, die einförmige Vegetation, der dunkelblaue Streifen des schaumumsäumten Oceans hinter
den vielen Bäumen... Die Natur erinnert hier unwillkürlich an die grellen Farben eines illustrirten
Kindermärchens, nur dass ihr dessen naiver Reiz mangelt Das Mosaik der verschiedenen Stammestypen
und Trachten, das im nördlichen Indien den Blick fesselt, ist hier bei weitem nicht in
demselben Maasse vorhanden.
Die Hauptstadt der südlichen Präsidentschaft schöpft ihren Reichthum aus dem Handel, der
sich hier aus dem Innern des Landes durch die Kanäle concentrirt und durch das Einläufen
vieler Schiffe auf der verhältnissmässig gefahrlosen Rhede systematisch, unterhalten wird. Die
Koromandelküste zeichnet sich, zum Theil infolge ihrer Seichtheit, im allgemeinen durch ihren
Mangel an guten Häfen aus. Das Meer ist in Madras sehr stürmisch. Von den Cyclonen
wurden Schiffe von den Ankern losgerissen und gingen unter. Während des Aufenthalts des
Prinzen von Wales war der Grundstein zu einem mächtigen Doppelmolo gelegt worden, und
wenn auch immerhin die Wuth der Brandung bei weitem noch nicht gedämpft worden ist, so ist
doch das Ankern und Löschen der Schiffe nicht mehr so bedroht wie früher. Im vorigen Jahrhundert
und zu Anfang des gegenwärtigen forderte die Wuth der Orkane gewaltige Opfer. Im
Jahre 1746 wurde vor der Stadt ein französisches Geschwader vernichtet, und 1200 Mann ertranken
(es geschah gerade drei Wochen, nachdem der Admiral die Bürger von Madras gezwungen
hatte, sich zu ergeben und auf dem britischen Ufer die Flagge seiner Nation gehisst hatte).
Ueber den Hauptboulevard „Mount Road“ fahren die erlauchten Reisenden in den Park,
in dem die Residenz des Gouverneurs, steht. Die Vormittagshitze wird unerträglich. Noch ist im
südlichen Indien Winter, und doch haucht der Himmel wahre Feuergluten aus.
Das nicht grosse Government House glänzt mit seinen weissen, mit dem bemerkenswerthen
einheimischen Stuck (tschunam) bekleideten Mauern heller als Marmor. Das Innere des Palastes ist
nicht besonders. interessant. Die Porträts verschiedener trauriger Nawabs und blasser Gemahlinnen
der Governors bilden nur eine stumme Gallerie von Personen, denen dieses politische Centrum
bei Lebzeiten wahrlich nichts als Kränkung und Wehmuth beschied.
Die hiesige englische Gesellschaft und eine Menge Eingeborener versammeln sich gegen
vier Uhr zu einer „Garden party“ bei Lord Wenloek.
Bald nach dem Galadiner mit den üblichen Toasten findet Ball statt in dem schönen
geräumigen Pavillon (Banqueting Hall) neben dem Government House. Der Saal mit seinen
Säulenhallen und alten Fahnen zu beiden Seiten ist von Lichterglanz übergossen. Die ihn
schmückenden Gemälde passen ihrem historischen Wesen nach nicht zu dem unter ihnen
herrschenden Festprunk und dem fröhlichen Tanze, Ein Gemälde stellt den aus dem vorigen
Jahrhundert bekannten General Eyre Coot dar, wie ihm ein Eingeborener nach Sklavenart huldigt,
ein anderes den südindischen Helden Harris in blauer Uniform mit silbernen Epauletten u. s. w.
Unter der Zahl mancher interessanter Gäste muss ich den Secretär des Gouverneurs, Herrn
J. D. Rees, hervorheben. Er gehört zu jenen Engländern, die sich durch Studien vielseitig über Asien
unterrichtet haben und die den Erdtheil mit Wissbegier bereisten und gründlich kennen lernten. Er
besuchte China, veröffentlichte Reisebeobachtungen über Persien und befindet sich nun schon mehrere
Jahre am Staatsruder von Südindien. Vor Wenloek stand an der Spitze der Präsidentschaft Madras
ein Schwager des ehemaligen Vicekönigs Dufferin, Lord Connemara. Rees. arbeitete unter ihm,
übersetzte für die Regierung Schriftstücke aus dem Hindustani und Persischen, aus dem Tamil und
Telugu. Als Begleiter des frühem Gouverneurs auf dessen Reisen durch das Land schilderte er in
besondern Tagebüchern anschaulich die wichtigsten Details und das Ergebnis einer solchen Berührung
der höchsten Landesobrigkeit mit den Bedürfnissen der ihr anvertrauten fünfunddreissig Millionen.
Aus der Unterhaltung mit Rees sind mir einige spassige Anekdoten in der Erinnerung geblieben.
Der tiefe Kenner der südindischen Sprachen und Sitten, Bischof Caldwell, forschte einmal einen
treuherzigen Eingeborenen aus, wer denn eigentlich gegenwärtig über das Land regiere. Da nannte
ihm dieser aus voller Ueberzeugung eine halbmythische Persönlichkeit aus einer längst erloschenen
heidnischen Dynastie. „Aber was thun denn die Engländer hier?“ fragte er ihn. „Ja, die jagen nur!“
Thatsächlich gerathen die Eingeborenen leicht in Verwirrung, wenn man sie nach den
wahren Gründen fragt, warum unbekannte Gentlemen diese oder jene wilden Districte besuchen.
Einst traf Rees in einer solchen Gegend mit eingeborenen Verwaltungsbeamten zusammen. Da
er zufällig von der Jagd zurückkehrte, ohne einen einzigen Tiger geschossen zu haben, schüttelte
der älteste von ihnen vorwurfsvoll den Kopf, indem er sich zu dem jüngern wendete: „Schöne
Ordnung das! Schöne Verwaltung das, wenn es für einen Gentleman keinen Tiger gibt!“
In Indien lastet auf dem Salz eine ziemlich harte Abgabe. / Nun versuchte man eine alte
Witwe zu überführen, dass , sie Salz unberechtigt besitze. Um sich zu vergewissern, ob ihre
eidlichen Versicherungen, das Confiscirte sei überhaupt nicht Salz, der Wahrheit entsprächen, liessen
sich die Experten dazu herab, es zu kosten. Da hob die arme Frau in heiligem Entsetzen die
Hände zum Himmel empor: „Diesen Menschen genügt es nicht, mich ungerechterweise zu verfolgen,
E nein, sie essen auch noch die Asche meines Mannes!“
Als Pendant zu diesen drolligen Geschichten mag hier (aus dem Buche der Lady Dufferin
über Indien) die Aeusserung eines kleinen englischen Mädchens über die Denkmäler der indischen
Baukunst erwähnt werden: „O ich habe diese alten Gräber so gern! es steht in'denselben oder
dicht daneben immer Thee für die Besucher bereit!“
Orieiitrcise. II.