
ist in geistiger Beziehung den modernen Reisenden fast verschlossen. Auch wir (wie übrigens
alle Touristen der letzten dreissig Jahre) sahen fast ausschliesslich nur das Indien des englischen
Régimes. Aber nur dessen Oberfläche ist von der abendländischen Civilisation berührt; sie gibt
keinen Widerschein von dem ganzen Abgrund unausgesprochener Gefühle und verheimlichter Bestrebungen
der Bevölkerung, die von der wahren Sachlage zeugen könnten. Manches, lässt sich
ahnen, aber nicht sehen und constatiren. Im Laufe der Woche, die uns noch im Bereiche der Halbinsel
zu weilen vergönnt ist, wollen wir diesen
ausdauernden, merkwürdigen, sonderbaren Hindus,
deren Schöpfergeist die ihren Anlagen nach auf der
ganzen Welt einzig dastehende, so fest gefügte
und doch so weitschichtige brahmanische Cultur
entsprungen ist,
noch etwas näher
und genauer ins
Auge blicken. Im
südlichen Indien
lässt sich allerdings
schon fast
jedes Tröpfchen
reinen arischen
Blutes der Einwanderer
aus dem
Norden zählen.
Die Hauptsprachen,
Tamil und
Telugu, haben
sich der starken
Einwirkung des
Sanskrit nicht
i unterworfen. Die
!: Macht der brahmanischen
Religion
hingegen
drang bis in die
Tiefen der Volksseele
und errich-
ROYAL-YAGHT-CLUB in Bo m b a y . tete sich ihre Altäre
im Innern
der grandiosesten, nach ihren Grössenverhältnissen die ziemlich bescheidene Baukunst der nördlichen
Provinzen hoch überragenden Tempel und brachte die an Leib und Seele tüchtige,
urwüchsig denkende schwarzhäutige Bevölkerung unter die Gewalt und Disciplin ihrer Priesterschaft.
Das Eindringen des Islam in dieses Gebiet hatte nicht den. geringsten Erfolg. Der dichte
Tropenwald kann sich unter dem Beile der Holzfäller wol auf einen Augenblick lichten, aber jeder
durch den Urwald gebahnte Pfad wächst sehr bald wieder zu, die Wildniss feiert von neuem
ihren Einzug, und binnen kurzem ist von den Wunden, die ihr die Menschenhand beizubringen
suchte, auch nicht mehr die Spur zu ermitteln. So verhält es sich auch mit der Welt der
tief angelegten, uralten Religionen Asiens. So viele Schläge man ihr auch schon versetzt haben mag,
das nur seiner Phantasie lebende Volk beugt sich von neuem voll inniger Andacht vor den
vergeistigten Götterbildern, schafft hartnäckig nur noch seltsamere Formen seiner Gottesverehrung
und sehnt sich noch leidenschaftlicher nach himmelstürmenden, wenn auch nebelhaft verschwommenen
Phantasiegebilden. ______________
Die erlauchten Reisenden begeben sich in einem Expresszuge am 4. Februar durch das Dekhan
nach Madras über Kalbarga, wo einst selbständige Sultane mit prächtigen Höfen residirten, z. B. Firoz,
der seinen Harem mit Sklavinnen aus dem Norden, mit Russinnen, Georgierinnen, Tscherkessinnen
u. s. w. zu füllen pflegte und sich mit jeder in ihrer Muttersprache zu unterhalten liebte. Die Bahn
führt fast stetig durch traurige Ebenen, die unter den Strahlen der Sonne blitzen; nur hier und
da gewahrt man eine Lehmhütte, dann wieder wie kleine Festungen gebaute Dörfer, die mit Dorn-
gestrüpp umgeben sind, kleine Heerden zottiger, schwarzer Büffel, die sieh langsam zum steinigen
Bette eines halbvertrockneten Flusses zur Tränke begeben; im fernen Hintergründe erheben sich
nackte, merkwürdig düstere Hügel, die sich ins Blaue verlieren.
Nach Haiderabad, wo der mächtige Nizam herrscht, machen wir leider keinen Abstecher,
obwol dieses interessante Centrum unserm Wege sehr nahe liegt. Schade, denn es ist ein
höchst eigenthümlicher Staat! Die Beziehungen des jungen Nizam zur herrschenden Rasse entbehren
bei aller scheinbaren Loyalität' dennoch nicht sehr auffälliger Schattenseiten; er wollte
beim feierlichen Einzug des Prinzen von Wales in Indien nicht zu dessen Empfang nach Bombay
kommen! Die frühem Herrscher wünschten, als noch Europäer als Militärinstructoren sehr beliebt
waren, von Anfang an von französischen Offizieren unterrichtet zu sein, während die Engländer in
Haiderabad beinahe verhasst waren. Derartige Antipathien wurzeln gewöhnlich tief genug und werden
nicht sobald vergessen. Der auf seine ruhmreichen Ueberlieferungen stolze muhammedanische Adel
befreundet sich nur unwillig mit den Gedanken an politische Demüthigung und Ohnmacht
Die Gegend, die wir durchfliegen, lenkt gegenwärtig die Aufmerksamkeit einiger abendländischer
Kapitalisten auf sich, da Nachforschungen ergeben haben, dass hier der Bergbau auf
Gold und Kohlen ziemlich gewinnbringend sein dürfte. Ebenso wird jetzt schon öfter die
Frage erörtert, wie man die einst berühmten Diamantgruben wieder in Betrieb setzen könnte.'
Der Abend bricht herein, während einer unserer englischen Reisegefährten erzählt, es habe
in der Gegend einst ein unzugängliches Schloss gestanden, dessen Gebieter, der Mahrattenräuber
Morari Rao, ein leidenschaftlicher Liebhaber des Schachspiels gewesen sei; diese^ habe diejenigen,
die zufällig in seine Hände geriethen, zu einem Wettkampf im Schachspiel gezwungen;.^erstand
nun der Partner nicht, seinem Wirthe Schach zu bieten, gab er sich nicht die., grösste Mühe,
Sieger zu bleiben, so warf man ihn schonungslos die steile Schlosswand hinunter.
Freitag, 6. Februar.
Neun Uhr vormittags. Es macht sich Sumpfluft bemerkbar. Die Gegend hat tropischen
Charakter angenommen. Der Schienendamm senkt sich von den Ostghats immer merklicher zur
See hinab. Flaches sandiges Ufer, niedrige Anhöhen, vor uns Madras!
Der Gouverneur Lord Wenlock an der Spitze der Behörden, die Ehrenwache, eine Masse
reich gekleideter Eingeborener erwarten am Bahnhofperron den Grossfürsten-Thronfolger.
Wir fahren direct nach dem ziemlich nahen Government House über *ein Inselchen, auf
welchem die Statue des Sir Munro prangt,, der für einen der edelsten Staatsmänner Südindiens
während der Wende des 18. Jahrhunderts gilt. Das schön gegossene Ross, auf welchem der