
haben mit Erstaunen die Thatsache festgestellt, dass sich an den Füssen der in Santschi aus—
gemeisselten Nordländer unsere russischen Fusslappen vorfinden, die auch den Afghanen und
den Bewohnern Kafiristans gut bekannt sind; ferner das Factum, dass die daselbst mit abgebildeten
Musikinstrumente mit den- in Kalkutta ans dem heutigen Nepal bezogenen identisch sind.
Die archäöldgi&ehe. Abtheilung ¡ 0 überreich an Erzeugnissen der einheimischen Bildnerei
aus vielen Jahrhunderten vor uns. Bald sieht man vor sich einen in Betrachtung vertieften „langhändigen“
indischen Asketen (der Besitz einer langen Hand galt sowol hier, wie auch in Iran
von altersher als Zeichen vornehmer. Abstammung), bald bewundert man den in griechischem
Stilè: gearbeiteten Kopf Buddha’s: schön wie Apollo, mit der Haartracht, wie sie einst im kaiserlichen
Rom Mode war, gekräuselt wie mancher Hercules des Britischen .Museums. Bewundernd
bleibt man stehen vor der riesigen, stark beschädigten Bildsäule des „ Lehrers!1,; der mit nackter
Schulter dargesteht ist,’ ganz wie es noch jetzt bei den buddhistischen Mönchen der Brauch ist;
dann wieder betrachtet man mit Interesse die in Stein gehauenen Nachbildungen der Thror.sessei
Buddha’^, die von Löwen gestützt werdengjeinen Bettelnapf auf dem von einem königlichen.
Sonnenschirm beschatteten Piedestal u. s. w. Hier auch finden sich Reste der Blüte des Buddhismus
zu Mathura (bei . Agra), wo wir unlängst waren. Manche solche Beweisstücke' zeugen von dem
zeitweiligen Verfall des Brahmanismus in den gegenwärtig der Religion des „weisen Fürstensohnes“
wieder abgewonnenen Provinzen. Doch gibt es verhältnissmässig wenige ihrer Art Der Wiscg||
nuismus und Schiwaismus sind heutzutage im Lande mächtiger als je, Krischna bezaubert n a c l|
immer viele Mijttonen Menschen unsichtbar mit denselben sfssen Melodien, upi. derentwfllen ihm
die Schäferinnen im heutigen Bindraban ihr Herz schenkten.
' Ihre Hoheiten begeben sich in die ziemlich neue Abtheilung des Instituts, in das .sogenannte
„Economic Museum“ mit seinen reichhaltigen ethnographischen Sammlungen. Hier empfangt die
erlauchten Reisenden der Coriservator dieses Theils des Museums, der Eingeborene Träilokya Nath
Mukhardschi Was Kenntniss der einheimischen Produkte, Handwerke und Kuustgegebstände betrifft,
hat Herr Mukhardschi wol kaum seinesgleichen, es wäre denn der noch .gelehrtere
Sir George Birdwood, der das bekannte Werk „Industrial Arts of India“ veröffentlicht hat.
Muster von allen Rohmaterialien, Gegenstände der Hausindustrie, Gefas.se und Gewebe, jeder
Gattung, Schnitzereien, Mosaikarbeiten und diesen verwandte Sachen, LefeensWahrheit atbmende
Trachtenpuppen aller möglichen Klassen und Stämme Indiens sind in einigen Sälen aufgestält.
1 ¿«schadet nichts, wenn einige sehr kleine Puppen naiverweise wirkliche Haare auf dem Köpfe
haben, wenn ihre Kleidung aus denselben Stoffen verfertigt ist, die auch bei den lebenden Vorbildern
allgemein in Gebrauch sind; eine solche Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit gibt eben
der sorgfältigen Arbeit aus Krischnagar in Bengalen einen ganz besondern Reiz, weshalb sieri
Mukhardschi auch entschliesst,. dem Grossfürsten-Thronfolger eine in dieser Art verfertigte Gruppe
von höchster Originalität, den Hufbeschlag eines Zugochsen, zu überreichen
Dienstag, 3. Februar.
Ohne Unterbrechung auf der Eisenbahn die Strecke von Kalkutta über Dschabalpur nach
.Bombay, etwa 2500 Kilometer, zurücklegend, kehrten die erlauchten Reisenden am 30.Januar spät
abends zur „Pamjat Asowa“ zurück. Während wir uns im heimischen Kreise erholen und zur
neuen Fahrt ins südliche Indien rüsten, herrscht auf der Fregatte eine trübe Stimmung infolge
der bevorstehenden Abreise des Grossfürsten Georg Alexandrowitsch nach Algier. Auf den dringenden
Rath Doctor Rambach’s wird endgültig beschlossen, dass Seine Kaiserliche Hoheit nicht länger
in den Tropen, besonders an der Küste von Konkan bleiben dürfe, weil deren Klima den Fieberzustand
des Grossfursten nur steigere. Sich auf lange Zeit und noch dazu auf halbem Wege
nach dem in weiter Meeresferne liegenden Zauberlande Japan zu trennen, muss auf das erlauchte
Brüderpaar doppelt niederschlagend wirken. Die vier Tage vor der Trennung gehen an ihnen und
an uns allen vorüber wie eine schwere Prüfung, und jedem schwirren heute traurige Gedanken
durch den Kopf, wenn er sich sagt, dass morgen um diese Zeit das Panzerschiff „Admiral Korni-
low“ , nach dem heimatlichen Norden steuernd, uns schon ausser Sicht sein wird.
Die Rhede von Bombay ist wahrhaft wunderbar. Die Farben des Südens umschmeicheln
den • Blick ununterbrochen. Ganz besonders entzückend sind im Meerbusen von Bombay die
Stunden vor Einbruch der Abenddämmerung. Vom Westen her steigen in goldenen Streifen
leichte Wölkchen auf. Auf der einen Seite dehnt sich endloses Grün aus, das mit dem Weiss der
Gebäude am Strande abwechselt. Auf der ändern Seite malen sich die Berge der Ghats ab, die
sich mit ihren, Schlossthürmen ähnlichen Gipfeln wundersam ausnehmen. Der Himmel überzieht
sieh mit Roth. Ueber dem Meere geht dieses bald in Purpur über, während es sich über dem
Festlande allmählich in ein fahles Blau verliert.. Das Wasser ist gelblichroth. Die Masten und
Raaen, die Segel und die Takelage der Schiffe schweben in hellem Glanze... Dann wird es
plötzlich dunkel, beim Mondschein aber wird die ganze Umgebung noch bezaubernder, und noch
klarer das Bewusstsein, dass wir im Orient sind, in Indien...
Während des Aufenthalts des russischen Geschwaders in Bombay befand sich auf den Schiffen
alles ziemlich wohl. Das Commando wurde zuweilen an das Ufer beurlaubt, und nur einmal begingen
betrunkene Matrosen Ausschreitungen. beim Apollo Bunder und fielen in die Hände der
Polizei. Ein Paar von ihnen brachen sogar — aus Ueberfluss an Kraft — in den Parsi-Club ein
und stellten sich die Aufgabe, aus demselben einen Billardtisch auf die Strasse zu transportiren. Die
Nachkommen der tapfern Iranier, die sich ja öfter den Engländern als ausgezeichnetes Kriegselement
gegen das nicht- im geringsten an eine Invasion denkende Russland angeboten hatten und noch immer
anbieten, nahmen schon beim ersten Gewahrwerden vor den etwas angeheiterten Matrosen reissaus.
Mittwoch, 4. Februar.
Nachdem Seine Kaiserliche Hoheit der Grossfürst-Thronfolger und Prinz Georg von
Griechenland die Fregatte' wieder verlassen haben, um die Eisenbahnreise nach Madras fortzusetzen,
speisen sie auf der Terrasse des prächtigen Yacht-Clubs von Bombay, hart am Quai. Der belebende
Hauch des Oceans und das leise Geräusch der Brandung wirken auf die Seele ein. Heute
sind es gerade drei Monate seit unserer Abreise aus Gatschina. Noch nicht^ein Drittel der Reise
liegt hinter uns, und die wirkliche Reise fängt erst an, unsere Gedanken über die uns umgebende
orientalische Welt beginnen erst jetzt sich zu klären. Die erdrückende Fülle der mannichfaltigen
Wahrnehmungen und Gefühlseindrücke ist noch immer, im Wachsen begriffen.
Das bisher unsere Betrachtungen beherrschende Indien mit seinen verschiedenartigen
Städten und ihrem ostrussischen, genauer gesagt centralasiatischen Gepräge, das in uns gar zu
oft süsse Heimwehgefühle wach rief, mit so manchen Denkmälern, die einer ruhmvollen Vorzeit
entstammen: dieses Indien tritt allmählich in den Hintergrund, wie vor ihm die schönen Nillandschaften
und die zackigen Felsen von Aden. Von dem Zauber, der das Land vor dem Besuche
in unserer Vorstellung umfloss, bis wir Dehli und Lahore gesehen hatten, bleibt leider wenig
zurück. Der Duft der ihm unzweifelhaft innewohnenden Schönheit verflüchtigt sich bei der
unmittelbaren Berührung vor der kummervoll düstern Prosa, die sich um das alte Indien gelagert
hat. Das jetzt thatsächlich nur in der Welt der Phantasie existirende Land der ritterlichen Radschas
und Barden, die in der Vorstellung des Volkes schon allein durch ihre Bedeutung geheiligt sind,
Orientreise. II. 14