
Ein beinahe fünf Meter langes Skelett des gewaltigsten aller in Indien je beobachteten Elefanten
und die von der Zimmerdecke herabhängenden Rippen eines gewaltigen Walfisches ,V der in den
Golf von Bengalen gerathen war, fesseln die Aufmerksamkeit des Besuchers noch viel mehr.
Aus diesen Räumen begeben sich Ihre Hoheiten in die für die archäologischen Kostbarkeiten
bestimmten Säle. In jeder Nische, unter jedem Ornament, über den Darstellungen der bedeutendsten
Seiten des Lebens der Vorzeit, überall begegnet dem Auge der sanfte BEck Buddha’s: die Galerien,
die zur Aufbewahrung ^heidnischer Kunstalterthümer dienen, dipd überfüllt von BasreEefs, Statuen,
Trümmern von Steinmauern, oder richtiger, von Umzäunungen und Thoren, die reich mit Umrissen
von mehr oder weniger legendenhaftem Charakter geschmückt sind. Inschriften in PaE-Sprache aus
der Zeit des Königs Asoka (des „kummerlosen“ ) , Figuren von dem Typus der ersten Anhänger
des buddhistischen Glaubens, d. h. vorzugsweise von Stammesgenossen nichtarischen Geblüts, von
denen wahrscheinEch die Verehrung der „heiEgen“ Bäume übernommen wurde, die Gemeinschaft der
Frommen mit den himmlischen Geistern und den von fünfköpfigen Schlangen überschatteten Nagas,
die gerade auf das höchste Alterthum ihres Ursprungs hinweisende Abwesenheit Buddhas als eines
Götterbildes selbst, die nur dem Abdruck seiner Füsse gewidmete Anbetung u.s.w. ist es, wodurch
der erste zur Aufnahme der -ReEgionsdenkmäler bestimmte Saal des Kalkuttaer Museums ganz
besonderes Interesse einflösst Die’ Schönheit, zum Theil sogar die Lebenswahrheit, mit welcher
mehrere wichtige Einzelheiten' ausgeführt sind, entziehen sich jeder Beschreibung.
Ein gewisser Einfluss der griechischen Kunst kann nicht bestritten werden. Indien erfuhr
ihn in der glorreichen Epoche Alexanders des Grossen und seiner Nachfolger. Alexander; drang
nicht allein ungehindert bis in die Gangesniederungen vor, sondern erreichte sogar die entlegene.*
Provinz Orissa am Meerbusen von Bengalen, wo bis heute eine grösse Anzahl von Tempeln
erhalten gebHeben ist,, die wie zu EUora in die Felsen eingehauen sind. Das gleichzeitige Vom
kommen veredelter Formen der künstlerischen Schöpferkraft mit urwüchsig naiven, ja bizarren Gestalten
erregt im Beschauer höchst eigenthümEche Gedanken.
Im Kalkuttaer Museum ist eine Reihe architektonischer und sculptureEer Schöpfungen aufgestellt,
um welche; ek idie kunstgelehrte Welt beneidet, soweit dieselbe nach den gelungenen
Abgüssen, z. B. im Beriiner Museum für VöUterkunde, oder nach den Abbadungen in seltenen
Specialwerken zu urtheüen vermag. Alle hier vorhandenen Schätze aufzuzählen, wäre undenkbar;
der Raum dieses Tagebuches gestattet höchstens, Gegenstände anzuführen, welche, die Hauptdenkwürdigkeiten
fü r die Archäologen, die Hauptanziehungspunkte für die Laien bilden dürften
Was enthalten die Galerien nicht alles! Die eine ist ausschEessEch-der Periode"Asoka's eingeräumt,
die andere dem indoskythischen Alterthum, den Dschaina-Büdsäulen, den zahlreichen In-
scfiriften (darunter auch chinesischen), den Ausgrabungen aus Hügelgräbern, den Funden: in
Afghanistan u. s. w. Ein umfangreicher Katalog orientirt über diese Masse sprechender Thatsachen
aus der indischen Vergangenheit
Auf dem ersten Plane finden wir den „Stupa“ von Barhut, ein Denkmal altbuddhistischen
Charakters, welches einzig dastehende Ereignisse kennzeichnet, z. B. irgendein Wunder, irgendeine
Predigt des „weisen Lehrers“ . Die Steinumzäunung des Denkmals, die man hierher versetzt
hat, um sie vor der Zerstörung zu bewahren, hat die Form eines Zeltes; als ob die glaubensfeurigen
ersten Buddhisten, die 2000 Jahre vor uns Stupas auf Stupas errichteten, ihre Nomadenbehausung
zum Vorbild genommen und in Umrissen an den geheimnissvollen Kurgan der Steppe
hätten erinnern wollen. Die an dem Denkmale von Barhut ausgemeisselten Menschen gemahnen
mit ihren Gesichtszügen lebhaft an Mongolen, jedenfalls aber an einen Menschenschlag turanischen
Stammes. Neben diesem Denkmal sind hier noch ihrer Bedeutung nach gleichwerthige Ueber-
bleibsel der Stupas von Santschi in Centralindien aufgestellt.
Auf den Säulen und den Karniesen sind Scenen aus dem Leben Buddhas-dargestellt, wie
der Welterlöser in verschiedenen, noch unvollkommenen Formen körperlicher Umhüllung seine
Vollendungsbahn beginnt, bis er schliesslich zu lichter, freier Thätigkeit zum Wohle der lebenden
Wesen durchdringt, wie er in tiefster Seelenruhe ins Nirvana eingeht, aber fortfährt, an der sittlichen
Erweckung und Heilung der Menschheit zu arbeiten.
Daneben finden wir Scenen aus dem Leiben des historisch nebelhaften Indien abgebildet,
Genrebilder, die auch heute noch nicht veraltet sind; Stillleben, wo das Gebiet des Mythus und des
Märchens aufhört, wo der Faden der Tradition ansetzt und nicht wieder abreisst. Eines ist zweifellos:
jeder hier ruhende Stein ist in den Augen des wahrhaft gottesfürchtigen Asiaten etwas Heiliges.
Nicht umsonst kamen einst sogar Koreaner ins
Gangesland, um hier zu opfern und anzubeten!
Die traditionellen Embleme, die symbolischen
Schmuckgegenstände, die beliebten unnatürlichen
Posen auf der Oberfläche des Denkmals,,
alles stimmt genau mit den Cultusobjecten
in den noch bestehenden heidnischen Cultur-
religionen überein. Da halten z. B. aut den
Thören zu Santschi die Götter ein kleines
magisches Scepter (wadschra), wie es heute
noch einen der Gegenstände bildet, die für
betende Lamas unentbehrlich sind. Da ist auch
die Göttin der Liebe und des Glücks, die auf
einem Lotus sitzt, während zwei Elefanten
Wasser auf sie giessen; Zug für Zug ein Bildchen,
wie es noch in den kleinen Kaufläden
eines jeden indischen Städtchens feilgeboten wird.
Da ist der Wundervogel Garuda, wie er erbarmungslos
Schlangen vernichtet und dann doch
neben ihnen mit den Ungeheuern Ohrringen an
seinem Papagaienkopfe ganz friedlich einherschreitet,
gleich als ob er dem die Lehren des.
Friedens und der Liebe predigenden, allen Geschöpfen
zugänglichen Buddha lausche. An
anderer Stelle dient er einem Himmelsbewohner krischna.
als Reitthier, einem Gotte, der zur Verehrung
irgendwelcher buddhistischer Heiligthümer fliegt Geflügelte Löwen, mit Gesichtern greulicher
Greife oder zottiger Hunde tibetanischer Rasse, Stiere' mit Menschengesichtern, volkreiche Pro-
cessionen mit von ihren Terrassen herab sie betrachtenden Bewohnern, die Herniederkunft des
„weisen Lehrers“ vom Himmel auf die Erde in der Gestalt eines Elefanten, wie er in die süssschlummernde
Maja eingeht, von welcher er nach Schicksalsbeschluss geboren werden soU, —
jede Steinfigur, jede plastische Einzelheit ist von eigenthümlich erfundener Anlage und voll
tiefsinniger Gedanken. Der Charakter und die Lebensweise des Landes hat sich in der Vorzeit
ebenso wie in der nahen Vergangenheit allezeit abgespiegelt in den hier auf bewahrten Steinen,
hat sich unter anderm auch in den aus ihnen gebildeten Wohnungen der Götter ausgeprägt, der
Götter, die nach dem Volksglauben heute in Majestät prangen, aber morgen schon infolge von
Sünden auf das Niveau ohnmächtiger, leidender Wesen herabsinken können . . . Die Forscher