
,o KALKUTTA.
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diesen Waldriesen der Tropenwelt klein und nichtig von :;Je länger man sich ins Schattendickicht'
vertieft, um so harmonischer erweitert sich dasselbe in seinen verschiedenen Fonnfn. zu einem
Ungeheuern Tempel, zum Wetterdach des riesigen Nomadenzelts eines Dschingischäniden oder
zu der P sympathischen Wölbung irgendeines-der einsamen Spazierwege # herrlichen Parks von
Zarskoje Sselo bekft-petersburg. ‘ * - l
Eine Fülle von Bäumen hat sich hier unter der Pflege der Menschen zu einem Ganzen von
überwältigender Wirkung vereinigt. Einer der frühem Directoren, Dr. Wallich, ein Däne, besuchte
zu botanischen Zwecken wiederhol: die malaiische Inselwelt und Nepal, Die dem Garten noch
UNTER DEM BANIANEN - BAUM.
fehlenden Gattungen und Arten verschrieb er sich (etwa im Jahre 1829) vom Cap der Guten
Hoffnung, von Brasilien, Afrika und.Australien. Reiche Schenkungen trafen von dort ein.; An
zweitausend botanische Gärten gingen von Kalkutta werthvolle Gegengeschenke al|^- y ;j |
Man glaubt hier zu Zeiten in Milton’s Paradies zu wandeln. Sagopalmen, die zu einer
eleganten Gruppe zusammenrücken, gemahnen mit der Erhabenheit ihrer Umrisse an manche
Linien des gothischen Stils. Mit welchem Mitleid- betrachtet man in diesem Zaüberreiche der
Baumwelt eine nordische Eiche, die man hierher auf den Boden Bergalens versetzt hat; hier
athmet alles so,-Sehr Lebensluft im Ueberfluss, dass, erstickt unter den Repräsentanten z: B. der
äquatorialen Inselwelt des Stillen Oceans, es für den Fremdling vom Norden niemals -möglich ist,
Winterruhe zu halten, die müden Blätter abzuschütteln und zeitweilig in die stillen Träume des
Nichtseins zu versinken.
Der Garten soll eine prachtvolle Bibliothek und ein damit verbundenes Herbarium, das
herrlichste in ganz Asien, besitzen, in welchem 30—40000 Pflanzen auf bewahrt werden.
Vor uns ragt das Wunder der Tropen empor, der von der Sanskritpoesie sogar besungene
Asvattha“ -Baum, der viel-,und breitästige hundertjährige Banianen-Baum (Ficus religiosa). Er
besitzt 250 Luftwurzeln, die zur Erde streben. Neue Sprösslinge erheben sich vom Boden, sodass
der Raum eine Säulenhalle bildet, unter deren Laubdach an 10000 Menschen Schutz finden, denn
sie hat gegen 280 Meter im Umfang. Ist es da ein Wunder, wenn die Hindus einen solchen
,Hain mit einem einzigen Hauptstamme“ anbeten, wenn sie ihre religiösen Centren mit solchen
Baumriesen zu verschönern suchen, die Baniane nicht fällen, überhaupt geneigt sind, sich dem Baum
gegenüber niemals gewinnsüchtig zu zeigen? Solche Bäume beginnen damit, auf ändern Bäumen ein
Schmarotzerleben zu führen, ersticken aber nach und nach ihren frühem Stützpunkt. Es gibt noch
ein riesigeres Exemplar des Asvattha-Baums als das von Kalkutta, auf mahrattischer Erde nahe bei Puna.
Die Hauptstadt des Landes wird häufig von Gyclönen. heimgesucht, deren Wirkungen
fürchterlich sind. Eine Menge Schiffe werden von ihren Ankern losgerissen, Bruchstücke abgehobener
Dächer fliegen durch die Luft; die Menschen, die grossen Schaden erlitten haben, fliehen
vor Schreck haufenweise in der Stadt herum. Der Orkan haust‘gewöhnlich auch im Garten, zerstört
die Pflänzlinge, beraubt die Palmen ihrer stolzen Krone, wirft die schönsten Alleen um, entlaubt
in einer Minute einen mächtigen Baobab vom Senegal, dessen Stamm doch 1 6 Meter im Umfang
hat, den Banianen gegenüber aber bleibt die Wuth des Sturmes wirkungslos, denn ein so widerstandskräftiges,
biegsames und sozusagen halbbeseeltes Wesen ist jedem Windstoss gewachsen.
Ein solcher Cyclon zwang 1855 einen Theil der Engländer in Kalkutta, an ihre Rettung zu
denken. Der Maharadscha von Gwalior lud damals, vor dem Aufstande, die Gesellschaft: zu einem
Picknick in den Botanischen Garten ein. Die Sipahis hatten vor,’ währenddessen 'die, Gäste dem
Verderben zu weihen. Das Unwetter vereitelte den mörderischen Plan.
Um der Einförmigkeit vorzubeugen, sind '-..stellenweise um die hier und dort angelegten
Bewässerungsteiche grüne Erdhügel aufgeworfen. Wir spazieren an den duftenden Blumenbeeten
und den früchtereichen Orangerien vorüber, die einerseits dazu bestimmt sind, die Pflanzen'von
überaus zarter Constitution vor dem wenn auch warmen bengalischen Winter zu schützen, andererseits
denjenigen Gewächsen Schutz zu bieten, die, aus dem Norden hierher verpflanzt, die masslose
Hitze der mitleidlos sengenden Strahlen der Tropensonne fürchten: Davor finden sie Schutz an
den über sie gezogenen Netzen und den schichtenweise auf sie gelegten feuchten Grasbündeln.