
ergriff den Himmel, die Festen der Erde und den Ocean, aber Kali setzte ihren höllischen Tanz
fort — da plötzlich, o Schmach, erblickt sie im Staube zu ihren Füssen den grossen Schiwa selbst.
In tiefster Seele erschüttert, erstarrte sie mit ausgestreckter Zunge. Eine naive Weltanschauung,
die indess ein gewisses Interesse erweckt!
Unsere Wagen gelangen auf die nach dem vicekönigliehen Palaste zu sich erstreckende
weite Fläche, den Maidan. Auf der einen Seite ist diese durch eine Art Park, auf der ändern durch
die Rennbahn begrenzt. Es erhebt sich vor uns eine Reihe von Denkmälern, die den Stolz der
Herrscher Indiens ausmachen. Am meisten fällt schon von weitem eine Säule von mehr als fünfzig
Meter Höhe mit einer um die Spitze laufenden Gallerie in die Augen. Sie wurde zu Ehren des
Sir David Ochterlony errichtet, der in den: zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts in der Radsch-
putana und auch gegen die Mahratten, die Sikhs und die Gorkhas wacker gekämpft haben soll.
Näher angelangt, sehen wir riesige Bildsäulen, die das Gedächtniss verschiedener Staatsmänner,
die sich um die Verwaltung Indiens hohe Verdienste erworben haben, der Lords Bentinck, Canning,
Lawrence, Northbrook, auf die Nachwelt bringen. James Outram zu Pferd, von den ältern Landesbewohnern
als der Bayard des Orients, als ein „Ritter ohne Furcht und Tadel“ verherrlicht,- prangt
ebenfalls hier, auf der „Schaubühne der Tapferkeit, der Energie und des Seelenadels“ . Der gewaltige
Reiter scheint einen muthigen Renner zu bändigen; er wendet sich zu den Seinigen zurück und
führt sie zum Siege über die meuterischen Sipahis, bereit, in ihre Reihen einzubrechen, um das
schon zum Untergang sich neigende Lucknow zu befreien und Rache zu nehmen an den Eingeborenen,
die die Weiber und Kinder der Weissen zu Cawnpore niedergemetzelt hatten.
Wenn man den Maidan entlang fährt und diese Broncegestalten „mit unbedeckten Häuptern“
-sieht, von Hardinge an, einer Arbeit des bekannten Künstlers Foley, bis zu der ebenfalls
von diesem ausgeführten Statue des Lord Mayo, die bei Gelegenheit des Besuchs des Prinzen von
Wales enthüllt worden war, wird man unwillkürlich von Bewunderung für eine Nation erfüllt, die
ihre vaterländischen Helden, Patrioten und Staatsmänner so zu ehren weiss. Diese Denkmäler unter
dem Himmel von Kalkutta bilden sozusagen ein lebendiges Pantheon, und nur ein leiser Zweifel
stiehlt sich in die Seele des Fremdlings, der sonst dem britischen Selbstbewusstsein alle schuldige
Anerkennung widerfahren lässt: weshalb hielt es die Regierung für nothwendig. und sogar für
möglich, auf solchen Piedestalen den Antheil der Eingeborenen an deren Errichtung zu betonen,
da sie doch- nur den Triumph der Fremden über die einheimischen Völker beweisen?. Das ist
wenigstens klar, dass zwischen dem Ziele der Engländer, hier diejenigen ihrer Landsleute zu verherrlichen,
die am meisten zur Niederwerfung und strengen Beherrschung der Rassen Indiens
beigetragen haben, und zwischen der Auffassung der Ureinwohner des Landes in Wirklichkeit keine
Uebereinstimmung besteht und auch nicht, bestehen kann. Wenn es sich aber in der That so verhält,
wen sollen denn die auf den Denkmälern genannten Eingeborenen aufrichtig betrauern, wessen
sollen sie mit Lob gedenken, wofür sollen sie diesen energischen Fremden die Aureole der Grösse
und des Ruhmes stiften? Es ist klar, dass dies einen gewissen Widerspruch in sich schliesst,
Schon der politische Takt allein hätte eine andere Stellung zu der Frage erfordert.
Ich möchte sagen, es ist fast schade, dass die Engländer bei der Weite ihres politischen
Blickes und dem Umfange ihrer Erfahrungen auf dem Maidan von Kalkutta dem genialen Dupleix
noch kein Denkmal errichtet:haben, jenem Franzosen, .der in der Mitte des, vorigen Jahrhunderts
als der erste Europäer ganz Indien mit dem Schöpferblick eines Çolonisators und Administrators
ins Auge fasste, der vieles daran setzte, die Handelsbeziehungen mit China und Tibet zu befestigen,
und der, voll zuversichtlichen Vertrauens auf die Fähigkeit der Asiaten, unter der Leitung der
Weissen ein gelehriges und fügsames Werkzéug des Kampfes zu werden, das kühne Project plante,
auf den Ruinen des Mogulreichs und der kleinem Staaten etwäs Neues zu gründen. Die britischen
Staatsmänner und Feldherren haben diese Ideen des von dem damaligen königlichen Paris nicht
anerkannten und abgesetzten Generalgouverneurs des franco-indischen Territoriums thatkräftig ins
Leben eingeführt. Unter den vielen Bildsäulen, die den Stolz eines jeden wahren Patrioten aus
Albion bilden, hätte der weit vorausschauende Dupleix, der eigentlich den Grundriss und die Möglichkeit
einer starken europäischen Oberherrschaft über die brahmanisch-muhammedanische Halbinsel
kühn entworfen hatte, mit vollem Recht einen Ehrenplatz verdient.
Ausser dem „Zoo“ und dem Museum enthält Kalkutta noch eine Sehenswürdigkeit: den
luxuriösen Botanischen Garten, der sich am Strome an dem Ufer, an welchem Haurah liegt, bei
der Vorstadt Sibpur, 8 Kilometer vom Centrum der Stadt, ausbreitet Die Botaniker der ganzen
Welt besuchen diese Musteranstalt, die sich im Laufe von hundert Jahren hoch entwickelt hat
Der Oberst, später General Robert Kyd gründete denselben als Gartenliebhaber im Jahre
1786. Zu seinem Nachfolger berief die Ostindische Compagnie aus Madras den gelehrten Naturforscher
William Roxburgh, und dieser arbeitete von t 793 bis 18 15 an der Abfassung seiner
unerschöpflichen „Flora Indica“ . Auch die nachfolgenden Directoren zeigten sich als auf der Höhe
ihres Berufs. Der königliche Botanische Garten wurde bald berühmt, und da er ausser den Interessen
der Wissenschaft auch praktischen dient, so bringt er andauernd grossen Nutzen, indem er
zum musterhaften Versuchsfeld geworden ist, wo werthvolle Thatsachen über die Pflege und
Acclimatisation einer Menge ausländischer Pflanzen gesammelt werden, sowie über die Methode, nach
welcher sie hierzulande in Plantagen angepflanzt und gedeihlich entwickelt werden können. Versuche
haben gezeigt, in wieweit z. B. in Assam und Dardschiling der Anbau des Thegs, der Chinabäume aus
den Anden, der veredelten Baumwolle und des westindischen Zuckerrohrs Aussicht auf Erfolg habe.
Parallel damit lieferte dieses Versuchsfeld ohne Aufwendung besonderer Kosten ‘auch den wichtigen
Nachweis, welche Pflanzen sich nicht zum Anbau auf dem fremden Boden Bengalens eignen.
Ihre Hoheiten begeben sich nach dem Frühstück in Begleitung des Vicekönigs und seiner
Familie mit Gefolge nach Sibpur. Zum Weg dahin” wählt man die Dampferfahrt auf dem Hugli.
Das schattige, mit schönen Villen übersäte Ufer (Garden Reach), eine riesige Menge von Handelsschiffen,
der von einer fieberhaften Thätigkeit belebte Ankerplatz, alles macht auf den Reisenden
einen gewaltigen Eindruck.^ Nur einen Umstand will man nicht so recht verstehen, wenn man
mit eigenen Augen die moderne hochentwickelte Hauptstadt Indiens sieht: ist.es wirklich möglich,
dass noch vor wenigen Jahrzehnten hier ungebunden die Thugs, jene Räuber mit religiösem
Anstrich, gehaust und in . Fahrzeugen Wallfahrer und Kauf leute gemordet haben, um sie der
Göttin Kali zum Opfer zu bringen?
Der Arm des Ganges, auf dem wir uns befinden, ist für die Schiffahrt keineswegs gefahrlos,
da er überreich an Sandbänken und sein Lauf hoch dazu höchst launenhaft ist Havarien
sind nicht selten. Selbst die erfahrensten Lootsen vermögen sich hier mit der schwierigen Leitung
der Schiffe nicht immer zurechtzufinden. Dieser Stromweg ist aber sogewinnbringend, dass man
ihn nichtsdestoweniger seit alten Zeiten benutzt Zur Blütezeit des Buddhismus in Bengalen befand
sich hier, der Mündung etwas näher, die sehr reiche Handelsstadt Tamluk, die im 7. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung von dem berühmten chinesischen Pilger Hwang-Thsang besucht wurde.
Auf dem linken Stromufer erhebt sich eine von einem grossen Garten umgebene Gruppe
von Gebäuden. Es ist der frühere Palast des seines Thrones verlustig erklärten Wadschid Ali,
der hier noch dreissig Jahre lebte, nachdem seine früheren Bundesgenossen, die neuen Beherrscher
Indiens, mit ihm auf ihre Weise fertig geworden waren, wiewol er selbst, wie schon seine Vor