
die Giftschlange den furchtbaren Göttern zum Halsschmuck, ist sie doch berüchtigt als Wächterin
der in der Erde verborgenen Schätze, kann sie doch jeden Armen damit reich machen und
besitzt sie doch die wunderbare Gabe, jedes Jahr ihre Haut zu wechseln und sich zu erneuern,
ewige Jugend zu gemessen und jede beliebige Gestalt anzunehmen!
Am häufigsten begegnet es, dass das Vieh der Bauern an Schlangenbiss umkommt,, und
nichtsdestoweniger verehren sie gerade die Cobra als die wahre Schutzpatronin der Hausthiere.
Die englische Regierung zahlt den Vertilgern des gefährlichen Gewürms grosse Summen; aber
auch nicht ein einziger Hindu, der etwas auf sich hält, rührt nur die Hand gegen ein für ihn so
verehrungswürdiges Geschöpf wie die Giftschlange, H ja er wird vielmehr eher sein Möglichstes
thun, sie aus einer Gefahr zu erretten, wenn ihr von dem gottlosen Europäer eine solche drohen
sollte. In der letzten Zeit hat sich das Zigeunergesindel, das in den Dschungeln haust, eigens
auf die Aufzucht der Schlangen, verlegt, um sie den britischen Beamten massenweise zu präsen-r
tiren. Es leuchtet ein, dass unter solchen Verhältnissen die Todesfälle infolge von Schlangenbiss
nicht abnehmen können, vielmehr die Schlangenplage zur steigenden Calamität wird. Es kommen
jetzt in sämmtlichen Provinzen (mit Ausnahme von Bombay) mehr Menschen durch Schlangen
um als noch vor wenigen Jahren. Es gibt nur ein Mittel, das Unheil zu bekämpfen: die Walddickichte
in der Nähe der Dörfer auszuroden und die Schlangen schonungslos. zu verfolgen. Um
aber die dazu projectirten Massregeln thatkräftig durchführen zü können, gebricht es den Verwaltungsbeamten
wol an Geld und Zeit Das Dschungel rings, um eine Wohnstätte der Eingeborenen
zu diesem Zwecke einer Untersuchung zu unterziehen, ist aucji nicht wohl denkbar, ja sogar nicht
immer politisch, da dasselbe der daran gewöhnten Bevölkerung im höchsten Grade sympathisch ist
Es möchte fast scheinen, als ob man die 18 8 8 ^ 9 0 nur als Prämien für eingelieferte todte Schlängen
aufgewandten 500000 Mark umsonst geopfert habe!
Die Reptilien schützen sich gerade vor den Sonnenstrahlen; sie haben sich ins Gestein
verkrochen oder sich auf dem kühlenden Rasen in Ringel gelegt Zur Fütterungsstunde am Abend
erwacht das Gewürm und fängt gierig die ihm hingeworfenen lebendigen Frösche.
Der barfüssige Wärter des Schlangenzwingers klettert zu ihnen furchtlos über das Gitter,
lässt zwei unglückliche weisse Mäuse frei und reizt die satten, zornig zischenden Schlangen mit
einem Stocke. Sie wollen sich nicht beruhigen und verkriechen sich in einen grossen Steinhaufen,
wo ihre Höhlen sind und aus dem sie mit ihren gold- und silbergestreiften Schuppen bald schwarz,
bald bläulich hervorschillern. Die armen Nager, die'izüm Frass vorgeworfen sind, ahnen keine Gefahr,
laufen von einem verschlossenen Unglücksrachen zum ändern und gucken neugierig in die unterirdischen
Gänge hinein, wo ihrer der Tod harrt Man weiss nicht, worüber man sich mehr wundern
soll: über den Stumpfsinn des Eingeborenen, der die Schlangen neckt, oder über die rührende
Sorglosigkeit der kleinen Mäuse, die doch zum baldigen Untergang verurtheilt sind.
Einige Schritte seitwärts von dem ungewohnten Schauspiel, und wir sind bei den Wölfen,
Tigern und einem schwarzen Leoparden von der Halbinsel' Malakka. Ausser niedlichen kleinen
Tigern jüngsten Wurfes ist in den Raubthierhäusern weitaus am sehenswerthesten ein gestreifter
Menschenfresser, der wol über zweihundert Menschen verzehrt haben soll, bis man ihn endlich einfing.
Die Tiger fallen im allgemeinen nicht gerade gern über den zweifüssigen König der Schöpfung
her, zuweilen aber kommt sie eine grössere Raubgier an, und wenn sie einmal ein bischen Menschenfleisch
gekostet haben, suchen sie sich Opfer auf Opfer, bis der Gefrässigkeit solcher
Ungeheuer entweder furchtlose und geschickte Jäger oder mit, unzerreissbaren Netzen versehene
Fanggruben ein Ziel setzen.
Der hier eingesperrte „Man-eater“ flösst auch noch hinter Schloss und Riegel ein unbehagliches
Gefühl ein; er kann sich mit dem Lose eines Gefangenen nicht versöhnen. Furchtbar stürzt
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er sich auf die nur ein wenig näher Herantretenden, sucht sie auf jede mögliche Weise mit seinen
Krallen zu packen, läuft wie rasend auf seiner steinernen Bühne herum und scheint mit seinen
funkelnden Augen zu sagen: Verachtungswürdige Menschen, ich bin trotz alledem mächtiger als ihr!
Gebt mir auf einen Augenblick die Freiheit, und ich reisse weit und breit alles in Stücke, berausche
mich in euerm Blute, sättige mich an euern Leibern.
Nicht weit von diesem grimmigen Tiger sitzt* in philosophische Betrachtung vertieft, ein
alter Orang-Utan. Er ist von Hause aus Komiker; höhnisch betrachtet er die Besucher des Gartens,
unter drolligen Geberden kämmt er sich den Nacken und ist gern bereit, seine Kunststücke
zu produciren. Jemand gibt ihm z. B. eine Zeitung; das gescheite Ungeheuer von Affe liest diese
anfangs gleichsam vom Blatt, dann, aber verzweifelt er daran, den Sinn derselben herauszufinden
, und macht sicli eine Kappe daraus, worüber denn schliesslich alle Anwesenden herzlich
lachen. Unter dem tief in die Stirn heruntergezogenen Papier hervor sieht das Gesicht mit den
tiefsinnig zusämmengezogenen Augenbrauen zwar spasshaft genug, aber sehr ausdrucksvoll, ja ganz
menschenähnlich aus. *• • • _________
Ihre Hoheiten begeben sich aus der Vorstadt Alipur vom „Zoo“ ' in das Government
Hous.e zurück. Eine Brücke fuhrt uns über eben haibausgetrockneten Arm des Hugli, den
sogenannten „TolIyVNulla“ . An seinem Ufer liegt der Kern des uralten und des relativ modernen
Kalkutta, der noch immer Massen von Wallfahrern anzieht, welche die Göttin Kali zu verehren
kommen, die der Stadt ihren Namen gegeben hat und deren Cultusstätte bis auf unsere Zeiten
hier seit Jahrhunderten steht
Die Gemahlin Schiwas hätte sich aus Liebe zu ihrem Manne, der von ihrem'Vater beleidigt
worden war, vor Schmerz selbst das Leben genommen. Der untröstliche ^Witwer, eine Personi-
fication des Asketenthums und der Zerstörung, lud darauf ihren Leichnam auf seine Schultern und
begab sich mit ihr auf die Wanderschaft. Wohin der Gott nur kam, begleiteten ihn die Pest
find Elend aller Art, bis es .Vischnu gelang, den Leib der todten Göttin vermittelst seines aus der
Ferne geworfenen Discus in zahlreiche Stücke zu zerlegen. Darauf stellte Schiwa sein Umherwandeln
ein. Das Volk wallfahrtete zu jeder geheiligten Stelle, wo solche Stücke zur Erde gefallen
waren. An Tolly’s Nulla bildete sich unter anderm ein hervorragendes religiöses Centrum, da
hier die zweite Zehe des linken Fusses der Kali niedergefallen war.
Als einer der Pioniere der englischen Festsetzung auf bengalischem Boden bewährte sich
im 17. Jahrhundert ein gewisser Dschob Tscharnok, der während seines langen Aufenthalts unter
den Eingeborenen selbst ein ganzer Heidec geworden war. • Als seine Hindufrau, die er seinerzeit
aus dem für sie bestimmten Scheiterhaufen ihres ersten verstorbenen. Gatten herausgerissen
hatte, verschieden war, soll er alljährlich die vom einheimischen Herkommen festgesetzten Opfer
auf dem für ihn theuern Grabe dargebracht haben. Er gilt für den eigentlichen Gründer des
gegenwärtigen Kalkutta. Es war äusserst günstig gelegen, und Tscharnok benutzte diese Lage,
um ein Geschäftscentrum dort zu gründen, wo ein Altar der Gottheit stand, zu der das gemeine
Volk, aus Nah und Fern wallfahrtend, blindlings betete und der man gewöhnlich Ziegen, in schweren
Zeiten aber auch Kinder opferte. Es ist noch nicht so lange her, dass man, wenn eine Epidemie
oder eine Hungersnoth ausbrach, vor dem Götzenbild einen Menschenkopf unter Blumen fand.
Die „schwarze“ Gemahlin Schiwas liebt ja blutige Schauspiele, die Krämpfe der Sterbenden, die
Qualen der Geschöpfe! Sie wird abgebildet, wie sie ihre goldene Zunge herausstreckt. Der Sage
nach hatte sich die Göttin einst mit den Dämonen überworfen, gerieth in Wuth, streckte alles,
was sich ihr entgegenstellte, nieder und feierte, nachdem sie über die bösen Mächte triumphirt
hatte, ihr wüthendes .Entzücken in einem wilden Tanze; die ganze Menschheit erbebte, Entsetzen
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