
Newelskoy erschien dann persönlich in Petersburg und erstattete seinen Bericht von der Besitzergreifung
der Amurmündung. Der Bericht wurde einem besondern Comité unter dem Vorsitze
des Grafen Nesselrode zur Begutachtung überwiesen. Die Mehrzahl der Comitémitglieder betrachtete
das Vorgehen Newelskoy’s als im höchsten Grade tollkühn und der strengsten Bestrafung würdig.
Es wurde bestimmt, dass der Posten Nikolajewsk aufzuheben sei. Murawiew, der sofort einen
ausführlichen Brief über die Leistungen Newelskoy’s am Amur geschrieben hatte, konnte das Schreiben
dem Kaiser persönlich einhändigen. Nach der Audienz, die in Gegenwart des Thronfolgers stattfand,
befahl der Kaiser, dass der Brief Murawiew’s durch ein neues Comité unter dem Vorsitze des
Grossfürsten-Thronfolgers begutachtet würde. Seine Majestät fand das Vorgehen Newelskoy’s edel
EIN VON MURAWIEW IM AMURGEBIETE GEGRÜNDETES DORF.
und patriotisch und äusserte auf den ihm vorgelegten Bericht des Comités: „Wo einmal die
russische Flagge gehisst worden ist, soll sie nicht wieder heruntergenommen werden.“
Am 12. Februar 18 5 1 wurde die allerhöchst bestätigte Verfügung des unter dem Vorsitze
des Grossfürsten-Thronfolgers stehenden Comités erlassen. Sie bestimmte:
1) Der Posten Nikolajewsk bleibt bestehen, mit Rücksicht auf die Factorei der Russisch-r
Amerikanischen Compagnie.
2) Es sind keine neuen Gebietserweiterungen in diesem Lande zu unternehmen und keine
neuen Plätze zu besetzen.
3) Es ist eine Handelsexpedition an den Amur auszurüsten unter der Führung des Kapitäns
ersten Ranges Newelskoy, im Bestände von 60 Mann Matrosen und Kosaken, zwei Offizieren
und einem Arzt.
4) Diese Expedition wird der Oberaufsicht des Generalgouverneurs von Ostsibirien unterstellt.
5) Die chinesische Regierung ist dahin.zu verständigen, dass wir die Aufsicht über die Mündung
des Amurstromes auf uns nehmen.
Trotz der geringen Anzahl und der kargen Ausrüstung gewann die „Handelsexpedition an
den Amur“ im Laufe der Jahre 18 5 1 bis 1854 eine grosse Bedeutung für Russland. Unsere
Marineoffiziere haben trotz der Ungeheuern Verantwortlichkeit, trotz aller Mühsale, Beschwerden und
Entbehrungen, sich über ihre Instructionen hinwegsetzend, auf ihre eigene Initiative hin das Chin-
ganische Gebirge erforscht, Sachalin explorirt, Kohlenlager auf der Insel entdeckt und entscheidende
Thatsaclien gesammelt, die unser Recht auf. deren Besitz beurkundeten; auf eigenes
Risico, ohne sich auf besondere Befehle stützen zu können, haben sie die Insel mit Militärposten
besetzt. Die Gefährten Newelskoy’s entdeckten in der Nähe des Amurstromes die De Castries-Bai,
EINGEBORENE AUS DEM AMURGEBIET.
die im Süden die der Amurmündung nächstgelegene Rhede bietet. Ferner sammelten sie. Facta,
die darthaten, dass es längs der Küste des Tatarischen Golfes, in der Nähe der koreanischen
Grenze, Plätze gibt, die fast das ganze Jahr hindurch für die Schiffahrt offen sind und von denen
aus man an den Ussuristrom gelangen kann.
Newelskoy schrieb unter anderm in seinem Bericht an den Generalgouverneur: „Mir blieben
nur zwei Möglichkeiten: entweder gemäss meinen Instructionen vorzugehen und dann für Russland
so wichtige Gebiete, wie das Amur- und Ussuri-Land, auf immer zu verlieren, oder aber
selbständig zu handeln, indem ich den Verhältnissen Rechnung trage und mich nicht, an die mir
gegebenen Instructionen halte.. . . Ich habe die letztere Wahl getroffen.“
Dank der hochherzigen Auffassung des Kaisers Nikolaus I. erhielt Newelskoy’s Thätigkeit die
allerhöchste Genehmigung. Nichtsdestoweniger war die nächste Folge die, dass die chinesische
Regierung eingeladen wurde, sie möchte Bevollmächtigte abordnen, um mit den russischen ge