
massregeln vor, die geradezu gesundheitsschädlich sind. Umständlich und schwer ist der Beruf der
europäischen Menschenfreundin, die von ganzer Seele wünscht, das Los der eingeborenen Vertreterinnen
des schwachen Geschlechts zu erleichtern, da diese viel lieber unter den Schutz Schiwa s
öder der Durga flüchten, als dass sie der ihnen unverständlichen Stimme der fremdländischen
Wissenschaft Gehör, schenken. Aber das Licht dringt durch die Finsterniss. Jedes Jahr ergibt
dieses oder jenes glückliche Resultat, dass die Qualen von Hunderttausenden wieder gemildert
sind unter einer weiblichen Bevölkerung, die von Geburt an verurtheilt zu sein schien, ihr Leben
in dumpfer Weltabgeschiedenheit dahinzuschleppen. Allerdings harrt schliesslich derer, die in dieses
Feld rein christlichen Erbarmens mit der Hoffnungsfreudigkeit ihres Frauenherzens ihre reinen Gedanken
und Thaten säen, allzugrosse und allzufrühe Uebermüdung; • so starb an dieser noch .unlängst
die amerikanische Doctorin Mary Seelye, die sich der Pflege der eingeborenen Frauen und Kinder
Kalkuttas fast allein gewidmet hatte. Ihr unermüdlicher Eifer tödtete sie vor der Zeit.
Im Jahre 1883 reiste die kleine gebrechliche Brahmanin Anandibai Dschöschi nach Neuyork
und Pennsilvanien, um Medicin zu studiren und das Doctordiplom zu erwerben. Sie erhielt es
auch und wurde in ihrer Heimat mit Triumph empfangen, in Anerkennung ihres Erfolgs und ihres
Eifers, ihren Landsmänninnen zu helfen. Die Auszehrung raffte die unermüdliche Arbeiterin 1887,
in ihrem zweiundzwanzigsten Jahre, weg. Ungefähr im Winter desselben Jahres reiste eine andere
achtzehnjährige Hinduwitwe, Pandita Ramabai Sarasvati, nur von ihrem. Kinde begleitet, nach
England, um Medicin zu studiren.
Diese Verehrerinnen des allgemeinmenschlichen Wissens stammen beide aus dem Mahratten-
lande, wo das Weib weniger unter den Vorurtheilen der Gesellschaft leidet, wo das Bedürfniss
nach praktischen Kenntnissen stärker ist und das Interesse der verschiedenen Bevölkerungsschichten
für pädagogische Unternehmungen und edeln Fortschritt breitere Grundlagen hat Streng genommen
sind es solche Frauen wie Ramabai, die zu den Ideen der Lady Dufferin den ewig lebendigen
Antrieb geben.
. Dienstag, 27. Januar.
Am Vormittag besuchen Ihre Hoheiten den Zoologischen Garten, der kurz als „Z o o “ gekannt
ist Er verdankt seinen gegenwärtigen Stand der Aufmerksamkeit und Unterstützung eines
der hervorragendsten anglö-indischen Staatsmänner, des Sir Richard Temple, wiewol schon vor
ihm durch den eigentlichen Gründer, Karl Ludwig Schwendler, viel für das Institut gethan worden
ist Zum Gedächtniss des letztem und zur Erinnerung an seine Arbeiten (er starb hier 1882 in
voller Thätigkeit) erhebt sich mitten unter den Thierzwingern ein Obelisk, und ein Fasanenhäuschen
trägt den Namen „Schwendler-House“ .
Wir schreiten von Zwinger zu Zwinger, in denen die einheimische Fauna und die aller möglichen
ändern Länder untergebracht ist, an den Gebäuden entlang, von denen jedes den Namen
eines der Maharadschas oder Kapitalisten trägt, die für das Zustandekommen des Zoologischen
Gartens beträchtliche Geldopfer gebracht (worunter besonders die beiden Israeliten Gubbai und Esra
hervorzuheben sind) und diese Gebäude errichtet haben.
Die Zahl der hier vereinigten Thiere beträgt an 100 Säugethiere, 600 Vögel und 150 Amphibien.
Fast dem Eingang gegenüber kreischen und schreien, während sie sich mit ihren
Schwänzen an den Pfeilern und Stützbalken festklammern, ganze Rudel von Affen und zwar nicht
nur solche, die auf der Halbinsel Vorkommen, sondern auch ä|e möglichen ändern Arten Asiens.
Schwarzbraune Makakis springen mit silbergrauen, langschwänzigen, schwarzschnauzigen
Langurs herum, die aus ihrem mit dichter, weisser Wolle ümsäümten Gesicht so drollig-ernst
herausschauen, .dass man sich krank lachen möchte. Ein schelmisches Aeffchen sitzt still, das
Köpfchen seitwärts gewandt, als. ob ihm alles, was rings vorgeht, im höchsten Grade gleichgültig
sei; doch die lustig blickenden. Augen zeugen von seiner Neugierde. Ein anderes hat sich
das Maul mit Futter vollgestopft und glotzt jeden, der naht, zornig an. Ein possirliches Aeffchen
stösst beständig-leise klägliche Seufzer aus, wobei es die Pfötchen hängen lässt und seinen
Blick betrübt zum Himmel emporrichtet; es ist eine besondere Affengattung aus Assam.
Zwischen den Gebäuden ist Grün und Wasser im Ueberfluss vorhanden. Gegen ein bestimmtes
Eintrittsgeld ist es den Besuchern erlaubt, Kahn zu fahren oder zu angeln. Ein prächtiges
Bassin’ wimmelt von Goldfischen. Im Freien ist dagegen von Wasservögeln wenig zu sehen, was
sieh aus den häufigen Ueberfällen der Schakale erklären-soll, gegen deren Behendigkeit und Raubgier
alle Wachsamkeit ohnmächtig ist. An einer Stelle taucht' aus den Gewässern ein ungeschlachtes
Nilpferdpaar empor. Seine Excremente sollen in den Apotheken der Eingeborenen zu hohen Preisen
verkauft werden, da die Volksmedicin sie als ein nützliches Ingrediens von Arzneien betrachtet.
Die geflügelten Vertreter der Tropenwelt glänzen hinter ihren Glaszellen in den brennendsten
Farben des Regenbogens. Der „Z o o “ steht in ständigem Tauschverkehr mit den bedeutendsten
zoologischen Gärten Amerikas, Australiens und Europas.
Hyänen, Wölfe, widerlich riechende Füchse, Känguruhs, Eber, ein seltenes Krokodil, schwarze
Schwäne, Antilopen aller Arten, Hirschkühe von Singapur und Java, afghanische Schafe mit Fettschwänzen
U. -S. w. lenken da und dort die Aufmerksamkeit auf sich. Aber siehe, hier kommen
auch krummbeinige Bären zum Vorschein, echte Landeseingeborene, die ein unaufhörliches Gebrüll
verführen.
Die bengalischen Bären sind harmlos . und gutmüthig; die armen Bestien stehen ununterbrochen
auf den Hinterbeinen, lehnen sieh an das Gitter ihres Käfigs und stossen klägliche Töne
aus, als ob sie das Mitleid eines jeden erwecken wollten, der an ihr Gefängniss 'herantritt Von
ähnlichen Thieren sind vorhanden: ein Himalaya-Bär, der als das gewaltigste Exemplar seiner Art
gilt (man hat ihm einen Baum und einen Brunnentrog zur Wohnstätte gegeben), sodann ein
anderer von beträchtlicher Grösse aus unserm Norden. Das „Guidebook“ über die Sehenswürdigkeiten
von Kalkutta sagt über diesen kurz und bündig., dass er in seinem Kerker sich ohne Rast
umhertummle wie „ein jeder Moskowiter“ („Swings about restless like every Muscovite“ ). Und
nach einem solchen Zeugniss murrt man noch bei uns in manchen Kreisen über die träge Natur
des Russen! Da flössen denn doch die Engländer ihren asiatischen Unterthanen ganz andere
Begriffe ein. ' - . .'.
Wir schreiten zu der Umzäunung, in der die Kriechthiere und Amphibien schlafen oder in
träger Ruhe liegen. Selbst einem kaltblütigen Europäer muss ihre Nähe, ihr Schleichen und ihr
magnetischer Starrblick schliesslich unangenehm werden. Welches Grauen empfinden aber die
höchst abergläubischen Einwohner des Landes?
Die Schlangenverehrung ist in Indien noch stark verbreitet Das todbringende Thier, das
von dem ihm von der Natur verliehenen furchtbaren Gift fast wider Willen und nur im Noth-
falle Gebrauch macht, gilt bei den Eingeborenen selbstverständlich als etwas Uebernatürliches und
Weises, als etwas,-das eine göttliche Kraft leibhaftig vorstellt und entsprechende'Verehrung verdient.
Die Phantasie der Heiden hat eine eigene Göttin (Manasa) geschaffen, welche Königin
alles Gewürms und die Patronin aller derjenigen ist, die zu ihr um Schutz vor allen giftigen
Thieren beten.
Wenn in irgendeiner Bauernhütte Indiens die Hausfrau das Rascheln einer unsichtbaren
Cobra hört, die auf dem Dache oder unter den Dielen auf Ratten oder Mäuse Jagd macht, dann
lässt sie sofort die Arbeit liegen und faltet andächtig die Hände, wie um zu beten; dient doch