
Wenn wir auf der Schwelle einer Zukunft von zunehmender Verwickeltheit unsern Sinn
auf moralische Gesundung, umfassendes Wissen und unerhörte Thaten für Russland und den
Zaren richten, müssen wir uns in erster Linie daran erinnern 1 wie unsere Heimat zuerst historisch
in die Erscheinung trat, wessen Blut am reichsten in unsern Adern strömt,. welches die
glänzenden Ueberlieferungen unserer Vergangenheit sind.
Ein überwiegender Antheil daran ist stets Asien zugefallen. Asien war es, das uns einst
verwüstete, und Asien war es, das uns wiederherstellte. Asien allein danken wir es, dass der
russische Geist die Idee eines christlichen Selbstherrschers zur Entwickelung brachte, den die
Vorsehung über alle irdische Eitelkeit gestellt hat, inmitten eines Gemenges verschiedenartiger,
aber miteinander sympathisirender Rassen. Eine alte russische Dichtung gibt ein bezeichnendes
Bild der Stellung unserer Herrscher auf dem Throne von Moskau:
Unser weisser Zar ist ein König über den Königen
Und: fest-hält er am christlichen Glauben,
Am christlichen Glauben, am Gebete.
Er tritt ein für den christlichen Glauben
Und für das Haus der heiligen Jungfrau.
Alle Horden haben sich vor ihm gebeugt,
Alle Stämme haben sich ihm unterworfen,
Weil der weisse Zar ein König über den Königen ist.
Die Volkslieder Russlands bieten uns ein ähnliches Bild der weltlichen Fürsten von Moskau.
Im Briefe Iwans des Grausamen an den Fürsten Kurbsky ist der göttliche Ursprung der wahren
autokratischen Idee und der ständigen Sorge für das Wohl des Volkes noch klarer zum Ausdruck
gebracht: „Die Erde wird regiert durch die Barmherzigkeit Gottes und die Gnade der unbefleckten
Jungfrau, durch das Gebet der Heiligen und den Segen unserer Väter und zuletzt durch uns, ihre
Herrscher.“ Wann, bei welchem europäischen Herrscher könnte man ebenso viel Demuth in der
Schätzung der eigenen Stellung finden? Solche Worte konnte nur ein Herrscher äüssern, der tief
von der orientalischen Anschauung durchdrungen war, dass die Welt versunken ist in Sünde und
Falschheit und dass er selbst ein schwacher Sterblicher, mächtig und weitreichend nur allein durch
die unsichtbare Kraft einer hohem "geistigen Macht ist, die alles ringsum schuf und erhält.
Diese heilige Ueberzeugung hat dem festen Glauben der Herrscher und der Beherrschten
Ursprung gegeben, dass Russland die Quelle und der Mittelpunkt einer unüberwindlichen Macht
ist, die durch die Angriffe ihrer Feinde nur noch stärker wird. Der Orient glaubt nicht weniger
als wir an die übernatürlichen Eigenschaften des russischen Nationalgeistes; er versteht und schätzt
ebenso wie wir den kostbarsten Schatz, der uns überliefert wurde, die Autokratie. Ohne die Autokratie
würde Asien nicht im Stande sein, für Russland aufrichtige Zuneigung zu hegen, und würde sich
nicht ohne Schwierigkeit mit Russland identificiren lassen. Ohne die Autokratie würde Europa es
als ein Kinderspiel ansehen, uns zu zerstückeln und zu überwältigen, wie es mit den Westslawen
verfahren ist, die jetzt ein bitteres Geschick erleiden.
Zwei Tage vor dem unglücklichen Ausflug nach Otsu schauten sich die erlauchten
Reisenden zum ersten mal eine Production der japanischen Tänzerinnen an, die nicht minder
berühmt sind als die indischen. Aber was wir sahen, entsprach leider nicht den enthusiastischen
Beschreibungen der Touristen. Ich finde in meinem Tagebuche die folgende Eintragung:
„Es ist noch früh am Abend. Aber schon erkennt man die Strassen nur noch undeutlich.
Sie sind fast menschenleer. Endlose Linien kleiner Laternen bezeichnen unsicher den Weg vor
uns, Die Thüren sind mit Holzgittern verschlossen. Inschriften zeichnen sich in der Dunkelheit
verschwommen ab. Dschinrikischas eilen zu den Hügeln an dem Ende der Stadt Kioto. Das
TheehauS ist mit Glühlampen beleuchtet Die dunkel gekleideten Musikantinnen, die in der
Runde herumsitzen, spielen auf dem üblichen dreisaitigen Samisen, das um 1700 aus Manila
eingeführt wurde, und auf kleinen Tamburinen. Ihr Spiel ist so mechanisch, dass es
manchmal scheinen möchte, als wären sie leblose Figuren. Es war mir immer, als ob ein Europäer
an dieser exotischen Art in Wahrheit nur ein ganz oberflächliches Interesse haben könne. Sie
haben begonnen; die Halle ist von Tönen erfüllt, die bald langsam, bald stürmisch erschallen und
die unharmonisch und unsäglich traurig sind und dabei dem Ohr durch ihren ganz unnatürlichen
Mangel an Uebereinstimmung unangenehm auffallen.
TANZEND E GEISCHAS.'
Während sich die Tänzerinnen in einstudirten Schritten bewegen, entfalten sie ein Fächerspiel,
das viel beredter ist als ihr gefrorenes Lächeln und ihr leerer Blick. Es ist kein Tanzen
und auch kein Gehen, sondern eine einförmige, echt orientalische Pantomime, bei der sich der
Körper geschickt und unermüdlich dreht und wendet wie ein Uhrwerk. Die Mädchen nähern
sich den Zuschauern, ziehen sich wieder zurück, wechseln die Plätze untereinander und drehen
und beugen sich geschmeidig.
Sie selbst sind, viel interessanter als ihre Kunst. Anscheinend Kinder, werden die armen
Wesen der Sitte gemäss stark geschminkt. Ihre Augenbrauen werden geschwärzt, und die Lippen
werden in der Mitte roth gefärbt, um ihren Mund kleiner erscheinen zu lassen. Ihr Anzug,
roth oder hellblau, ist mit kleinen Vögeln oder Blumen und manchmal anscheinend mit ganzen
Landschaften bestickt. Es ist sozusagen der Tanz von Puppen, die von unsichtbaren Fäden in
Bewegung gesetzt werden.