
der Mikado zuweilen aus freien Stücken abdankend hinter die Mauern eines Klosters zurück. Unter
dem Einflüsse des Buddhismus bildete sich damals unter Leuten jeden Ranges und Alters die Sitte
aus, sich aus dem Weltgetriebe zurückzuziehen und Inkio, Mönch, zu werden. Das Beispiel des
Herrschers förderte diesen Brauch, indem es die Männer zur Uebung strenger Enthaltsamkeit
anhielt und in den frohsinnigen Eingeborenen asketische Anschauungen wach rief.
Das Volk wurde mit dem Hofleben in der Hauptstadt so vertraut, dass es noch vor kurzem
jedes Abgehen von diesen ganz aussergewöhnlichen Gebräuchen, die geringste Aenderung im
Staatsmechanismus als ein Sacrileg betrachtete, was von seinem Standpunkte aus, mit Rücksicht
auf den Hass gegen alles aus dem Westen Kommende, nur gerechtfertigt ist. Vor wenigen Jahren
bestand Grossbritannien darauf, dass sein Gesandter innerhalb der Mauern der Hauptresidenz des
geistlichen Herrschers empfangen würde; aber der
Vertreter der Königin wurde, als er in officiellem
Aufzuge dorthin ging, am hellen Tage von Fanatikern
angegriffen, die seine Wachen niederschlugen.
Auch nach diesem Ereigniss fehlte es nicht
an Ausbrüchen der Erregung und Erbitterung. Als
der Palankin des Kaisers die aufgegebene Hauptstadt
verliess, fiel das Volk von Kioto auf der
Strasse auf die Knie nieder und flehte weinend seinen
Herrscher an, nicht nach Tokio überzusiedeln. Die
Träger wurden gezwungen, über die Rücken der
tausendköpfigen Menge weiter zu schreiten. Nach
den Berichten von Europäern bewahrte die Bevölkerung
ihr feindseliges Gefühl gegen Fremde noch
bis in die Gegenwart Als die Stadt von Prinz
Heinrich von Preussen auf seiner Weltreise besucht
wurde, umringte ein erregter Pöbelhaufen ihn und
sein Gefolge, und nicht ohne Schwierigkeit gelang
es der Polizei, eine Katastrophe abzuwenden.
Der Thronfolger wurde hier mit ausserordentlichem
Glanze empfangen, als wäre er der
Mikado selbst Dies muss auf das Volk gewiss einen
starken Eindruck machen. Kioto empfängt ihn in
A L T jA PA N isoH E R M iN isT E R in hoftracht. einem Gewände, wie es nur bei ausserordentlicher
Gelegenheit üblich ist; ausser der Beflaggung in
russischen, .griechischen und japanischen Farben sind die Häuser mit Laternen und Baumwollstoffen
geschtaückt, in deren massenhafter Herstellung Japan schon seit langem einen Namen hat
Am-Sonntag-und Montag erlebten wir so viel, dass die Feder den Gedanken nicht folgen
kann, die- von einem - Erinnerungspunkte zum ändern schweifen. Nach dem schrecklichen Ereigniss
in Otsu ist der Geist in chaotischem Zustand, in den sich nur Lichtblitze besonders
tiefer, lebhafter Eindrücke stehlen.
Den ersten Eindruck bietet die einheimische buddhistische Welt, dann empfindet man die
feierliche Ensamkeit- des kaiserlichen Palastes; die typischen einheimischen Erzeugnisse in der finden
Thronfolger veranstalteten Ausstellung sowie in den besuchten Läden fallen auf, und schliesslich
die Residenz des Schogun, des einstigen weltlichen Herrschers des Landes. Er ist von Reisenden
schon so oft beschrieben worden, dass einige wenige Worte über ihn genügen werden.
In seinem Aeussern erinnert das Schloss von Nijo in seiner rohen Massigkeit etwas an
die Umrisse alter etruskischer Bauten. Die mit Pagodendäcbem versehenen Gebäude, die in blendendem
Weiss glänzen, erheben sich innerhalb einer Mauer und sehen Festungen sehr ähnlich.
Ihre Bewohner konnten sich in der Stadt des Mikado natürlich weniger auf ihr Ansehen als auf
ihre militärische Macht stützen. _ 1 1 1
Jetzt wird diese zeitweilige Residenz der Herrscher Japans theilweise von Ortsbehörden
eingenommen. Welcher Luxus, welche Raumverschwendung! Man kann es kaum glauben,
dass man sich in einem Lande befindet, wo. jedes Ding gerade durch seine Einfachheit und
seine kleinen Verhältnisse einen s j | gewinnenden Eindruck macht Im Hause des Schogun sind
die Wände mit Gemälden von Tigern, Vögeln und Blumen auf vergoldetem Grunde geschmückt
Zierliche Schnitzereien, die Fasanen, Pfauen und Blumen in über Lebensgrösse darstellen, sind
über den Thüren angebracht, während die vergoldeten lackirten Wände mit endlosen. Arabesken
geziert sind, sowie mit Metallornamenten und den Wappen der stolzen Tokugawa-Familie. Das
kleine Emblem der wirklichen Herrscher, die damals nur eine halb mythische Bedeutung hatten,
das von den Dichtern besungene Chrysanthemum, wurde in den. Schatten gestellt
Um so fühlbarer ist der Uebergang von der Betrachtung dieser Triumphe der einheimischen
Bildhauerei und Architektur zu den Gemächern des „Sprösslings der Sonnengöttin“ . Man passirt
sie kaum mit der Empfindung ästhetischen Genusses, wohl aber mit Gefühlen mystischer Art
Daran mag die Umgebung schuld sein. Mit Rücksicht auf die vielfachen Mordthaten, die innerhalb
der Mauern des Palastes geschehen sind, ist hier eine besondere Art des Holzbaues in Anwendung
gekommen, der besonders geeignet war, Vorsichtsmaassregeln zu treffen. - Schiebewände erlauben,
alles genau zu überwachen, während die Fussböden bei dem leisesten Schritt hörbar krachen.
Den Besucher ergreift es obendrein, dass hier nur wenige Jahre vorher ein Wesen geweilt
hat, das von der Bevölkerung als übernatürlich betrachtet worden und den Blicken der gewöhnlichen
Sterblichen 'ganz unsichtbar geblieben war. Und nun hat. durch die herzlose neue Aera plötzlich
alles ein .Ende erreicht Der Palast des Mikado, das Go-scho, das Heim des Herrschers, zeichnet
sich absichtlich durch äusserste Einfachheit aus; kaum ein künstlerisches Ornament ist an seinen
weissgetüpchten Wänden zu finden. Sein Hauptschmuck besteht in weissen elastischen Matten,
die geschickt mit getrockneten Gräsern vom Meeresufer durchwirkt sind.
In einem Garten dieses alten, ehrwürdigen Palastes, der mehrmals niedergebrannt ist, spielen
die „Kugeh“ , die aus der höchsten aristokratischen Familie entstammen und die Person des
„wunderbaren“ Herrschers noch vor wenigen Jahren wie mit einer undurchdringlichen Mauer umgaben,
vor den kaiserlichen Gästen nach alten Regeln ein Ballspiel, genau wie in alten Tagen, als
sie damit den erhabenen Mikado erfreuten.
Es ist behauptet worden, dass das grässliche Attentat in Otsu in gewissem Grade dadurch
provocirt war, dass die erlauchten Reisenden in das Allerheiligste des japanischen Volkes zugelassen
wurden, wo ihnen dieselben Ehren wie den Abkömmlingen der Sonne erwiesen wurden, in
einem Grade, der mit dem Uebermaasse nationaler Egenliebe unvereinbar war. Dies ist, soweit es
unsern Grossfürsten betrifft, vollständig unwahr. Denn ebenso wie das monarchische Princip
in den Massen der Engeborenen festwurzelt, ebenso verehren sie alles, was sich auf den Ursprung
des russischen Selbstherrscherthums bezieht. Im vergangenen Jahrhundert mag dies nicht ganz
so gewesen sein, aber jetzt muss es einem auffallen. Vor der unglücklichen Gesandtschaft