
Der Bischof Johnson, der an dem viceköniglichen Galadiner theilnimmt, verkörpert in
sich die .officielle anglikanische Kirche, wie sie auf die indisch-ceylonesische Welt einwirkt.
Zur Ehre der Wahrheit muss jedoch gesagt werden, dass der Einfluss der anglikanischen Kirche
bisjetzt noch nicht so tief eingreift als der der ändern christlichen Glaubensbekenntnisse, die
doch einer ähnlichen Unterstützung und Sympathie der regierenden Kreise entbehren. Lichtvolle
edle Männer (vom Schlage eines Heber, Middleton, Wilson) standen auf der colonisirten
Halbinsel an der Spitze des Anglikanismus, aber als Vertreter der ändern religiösen Richtungen
tauchten noch viel mächtigere, überzeugtere und weitsichtigere Männer von apostolischem
Berufe auf. ' Kein Wunder, dass die Missionsthätigkeit, der Drang und die Kraft dazu,, wenn
auch nicht die Massen-, so doch einzelne zum „Lichte der Wahrheit“ zu erwecken, gerade denen
zugefallen ist, die voll heiliger Ueberzeugung gepredigt und den Kampf mit dem urwüchsigen
Heidenthum auf dem Boden der Liebe des Nächsten, wer er auch sei, auf dem Boden- der
wechselseitigen Gleichberechtigung der Menschen jeder Rasse und jeder Civilisationsstufe aufgenommen
haben. Es ist ausgerechnet worden, dass noch vor gar nicht langer Zeit jede Bekehrung
zum Christenthum die Protestanten ini allgemeinen auf 20000 Mark zu stehen kam. Gegenwärtig
beginnt sich, die Lage bei der breiten Verzweigung der Missionsthätigkeit schnell zu verbessern.
Wie wunderbar es"auch scheinen mag, kommt dieser Aufschwung nicht so sehr aus dem
frömmelnden England, als aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika, dessen auf die
Heidenwelt Indiens gerichtete Missionsthätigkeit mit jedem Jahre neue Phasen der. Entwickelung
durchläuft.
Als Columbus mit dem grünen Kreuze auf seiner Fahne, dem Zeugnisse für die hohen,
geistlichen Ziele, die er neben ändern weltlichen ins Auge fasste, nach dem Westen segelte, da war
der Welttheil, den der geniale Seefahrer auf dem Seewege erreichen wollte, Hindostan gewesen;
statt dessen entdeckte er Amerika: Gerade dieser Erdtheil schickt nun heutzutage dem alten
Orient eine Menge christlicher Glaubenslehrer, bringt grosse Opfer für die geistige Aufklärung
der dortigen trägen Massen und entwickelt gegenüber den thatsächlich vorhandenen Misständen
der bevölkertsten asiatischen Halbinsel eine unvergleichliche Üneigennützigkeit. So entfallen, um
ein Beispiel zu geben, von den 64 Missionsgesellschaften, die in dem Arbeitsgebiet Indien, Birma,.
Ceylon wirken, nicht weniger als. 18 (und wahrlich nicht die unthätigsten) auf Amerika, was
für den Eingeweihten nicht zu verwundern ist und den Gläubigen jährlich 20 Millionen Mark kostet,
die durch Sammlungen zu-„Missionszwecken auf verschiedenen Continenten“ aufgebracht werden.
Bisjetzt. beziffert sich die Gesammtzahl der Christen innerhalb der Besitzungen der Königin
Victoria auf weniger als ein Procent der Landesbevölkerung. Und noch dazu ist diese in Wirklichkeit
doch verschwindend kleine Zahl erst in der letzten Zeit zu dieser Höhe angewachsen!
Diese Erscheinung erklärt sich zum Theil aus der in aller Stille wieder begonnenen und-mit verdoppelten
Kräften entfalteten Missionsthätigkeit katholischer Predigermönche, die leichter als alle
ändern Glaubensboten mit den Eingeborenen vertraut werden und ergebungsvoll die drückendsten
Lebensverhältnisse ertragen. Daher erweitert sich dort' denn auch unsichtbar, aber sicher die
Machtsphäre des Papstes. Die Mehrzahl der bekehrten Hindus. bekennt sich zum Katholicismus.
Die zum Ghristenthum Uebertretenden gehören oft den FetiscHisten, den Schamänisten,
den . Teufelsverehrern, den Schlangenanbetern und ändern Elementen der untersten Kasten an oder
aber, um es richtiger auszudrücken, es sind zuweilen Personen gar keiner Käste, die zu solchen
wilden Stämmen gehören, die sich dem. mächtigen Einfluss der Brahmanen noch nicht unterworfen
haben. Und doch dringen diese Brahmanen mit immer wachsendem Eifer unablässig in die Wälder
und Berge vor, wo noch Halbwilde in Masse hausen, die ihren Göttern noch Menschen zum
Opfer darbringen, sonderbar geformte Steine anbeten und die bis auf den heutigen Tag von der
auf dem Veda beruhenden Cultur und dem Pantheon der neuesten schiwaitisch-vischnuitischen
Religionsgebilde gar nichts wissen.
Zur Ehre der protestantischen Welt muss gesagt werden, dass sie, wie übrigens auch die
katholische Geistlicheit, schon manchmal, was eindringliche Predigt und vernünftige Einwirkung
auf die einheimische Bevölkerung anlangt, die achtungswerthesten Männer der That, die überzeugtesten
Prediger der Wahrheit Christi, wahre Apostel der Demut und der Liebe zu den geistig
noch tief umnachteten Heiden, hervorgebracht hat. Solche waren z. B. zu Anfang - des 18. Jahrhunderts
der Schwede Kirnarder, der Baptist Carey in der Mitte unseres Jahrhunderts und der
uneigennützige Schotte Duff. Der erstgenannte lebte bis zu seinem achtundachtzigsten Jahre in
Indien, widmete sein ganzes Leben dem indischen Volke und dachte nie an eine Rückkehr nach
Europa. Unter den von ihm für das Christenthum durch unmittelbare Thätigkeit Gewonnenen
waren nicht nur Hindus, sondern auch nach Kalkutta eingewanderte Chinesen. William Carey
unternahm es, um mit den Eingeborenen vertraut zu werden, im Sehweisse seines Angesichts an
der infolge der Miasmen und der wilden Thiere gefährlichen Urbarmachung des dichten Dschungels
an den Mündungen des Ganges zu arbeiten. Der Erfolg zeigte sich bald, als die Möglichkeit
eintrat, einen Hindu unter ungeheuerm Zulaufe der neugierigen Volksmenge in den Fluten des
für ihn einst heiligen Stromes zu taufen. Carey brachte in Indien über vierzig Jahre zu und starb
als Gerechter, den nicht lange vor seinem Tode der anglikanische Bischof selbst um seinen Segen
bat Duff arbeitete hauptsächlich daran, unter der heidnischen Jugend Wissen zu verbreiten, was
er dadurch zu Stande brachte, dass er alles, was seine Schüler an christlichem Geiste in sich
aufnahmen, im Zusammenhang mit praktisch-nützlicher Anwendung europäischer Wissenschaft
auf indisches Leben beleuchtete.
Neben diesen drei Männern thaten sich und thun sich sicherlich noch andere weniger
berühmte ehrwürdige Glaubensboten hervor. Ihre fruchtbare Thätigkeit verdient zweifellos alle
Anerkennung, aber auch das Missionswesen hat, wie alle ändern Dinge, seine Kehrseite. Die
Hindus, wie überhaupt fast alle Heidenvölker Ost- und Südasiens, sind im höchsten Grade
duldsam. Die Eltern tragen kein Bedenken, ihre Kinder der Erziehung der Prediger aus dem
Abendlande anzuvertrauen, aber zugleich beten sie zu ihren Götzen, ihre Kleinen möchten doch
ja nichts von christlichen Gebräuchen und Anschauungen in sich aufnehmen. Oefters trifft man
vornehme Eingeborene, die ansehnliche Beiträge an die Bibelgesellschaft leisten und zum Umbau
christlicher Kirchen beisteuern, gleichzeitig aber dem Tempel der Kali die reichsten Geschenke
spenden. Um diejenigen Asiaten, die sich haben taufen lassen oder die, mit unserer Religion
sympathisiren, richtig zu beurtheilen, bedarf es eines besondern Maassstabes und recht vieler Nachsicht.
Nur die Muhammedaner setzen christlichen Aufklärungseinflüssen einen fast1 unbedingten
Widerstand entgegen. Sie sind zwar, wiewol auch nicht ohne Schwanken, bereit, abendländische
Bildung zu empfangen und sociale Gleichberechtigung mit den Engländern anzustreben; aber in
Religionsangelegenheiten duldet der Islam keine dem Geiste des Koran widerstrebende Lehren,
um so: weniger seitdem er in den achtziger Jahren in England selbst Wurzeln fasste, aus
Marokko eingeführt vom Liverpooler Kaufmann Quilliam, der eine wirkliche Moschee baute
und einige Dutzend Anhänger gewann. Seitdem haben die Missionen unter den indischen
Muhammedanern natürlich noch weniger Aussicht auf Erfolg.
Man braucht nur die stolzen Physiognomien der an der Tafel des Vicekönigs sitzenden
Muhammedaner zu betrachten, um sich von ihrer politischen Stellung in Indien einen Begriff zu
machen. Die Frage der Congresse ficht sie wenig an. Die Eloquenz sämmtlicher „Babus“ hat
ihre volle Verachtung. Die „Nawabs“ sind von Hause aus despotisch gesinnt und keineswegs
geneigt,- mit wem es. auch sei ihre privilegirte Lage"im Lande zü-theilen. Wenn es aber schon