
. Noch heute sollen wir nach Kagosima fahren. Es ist
|j ein altes Nest, das hartnäckig am Schintoismus und den
11 feudalen Ueberlieferungen festhält. Von hier aus erscholl
sehr oft der verständige patriotische Protest gegen frühreife,
maasslose Reformen und ultraradicales Beginnen. Zur Zeit
der erst vor kurzem beigelegten Misshelligkeiten, die einen
sehr bedrohlichen Charakter angenommen hatten, kämpfte
der mächtige Clan von Satsuma, an seiner Spitze der weise
Fürst und die vortrefflichsten Männer, energisch für die Entthronung
des Schogun (des Höchstcommandirenden und
Statthalters des den Göttern gleichen Mikados,- dessen Name
allein schon den- „hohen Ort“ bezeichnet), für die sofortige
Ausrüstung des Mikados mit der ungeteilten obersten Gewalt,
damit es dem Staate um so leichter werde, alle seine
Kräfte auf das gemeinsame grosse Werk, auf das gemeinsame
Ziel der innigsten Wünsche zu concentriren: die Vertreibung
der ausländischen Barbaren . / .
Als dann die volle gesetzliche Thronbesteigung des unmittelbaren
Abkömmlings der Sonne vollendetes Factum ge-
worden war, die Einmischung der verhassten Mächte in das politische Leben des Landes sich
aber dennoch häufig wiederholte, da geriethen die Vertheidiger des nationalen Ideals in Bestürzung
und gaben ihrem Schmerz über das in Japan aufgekommene System des Liberalismus, der rasch
zum Parlamentarismus geführt hatte, je länger, desto lautern Ausdruck.
Seit langem empfand das' conservative, der Regierung sympathisch gestimmte Kagosima
über diese seine Haltung die ganze Wucht des moralischen Zwiespalts, die auf ihm lastete. Auf
der einen Seite entsprach der Aufruhr nicht
den Regeln der einheimischen ritterlichen Etikette;
auf der ändern Seite aber stand das geduldige
Abwarten nicht im Einklang mit. dem
Temperament des Adels von Satsuma. Was . -
daraus folgen musste, waren beklagenswerte
brudermörderische Metzeleien; die Constitutionsschwärmer
bekamen die Oberhand, die
mittelalterliche Staatsgrundform entschwand
in das Reich der Erinnerungen.
Unzweifelhaft wird es ein interessantes
Schauspiel sein, das sich unsern Augen bieten
wird, wenn wir auch nur für einen- Augenblick
in diesen Winkel einer verlöschenden
Welt hineinsehen werden,-einer Welt, -die noch
vor einem Vierteljahrhundert in viel höherm
Grade Europa absichtlich fremd geblieben war
als das vorsichtige Peking. Wenn man auf
die gelegentlichen Aeusserungen der Männer
horcht, die hier das den Japanern imponirende
Abendland repräsentiren ¿ so auferlegen sich koreanischer Töpfer.
diese nach der Ansicht jener Europäer das Joch der ihnen ihrem ganzen Wesen nach unverständlichen
Fremdcultur nur formell und materiell. Jeder Inselbewohner, und wäre es auch ein sehr
gebildeter, hegt gegen dieselbe im Grunde seiner Seele fort und fort die tiefste Verachtung. Nur
die Klugheit ist es, die ihm vorschreibt, gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Dieses
Doppelspiel wird natürlich einmal sowol diejenigen, die die Maske angenommen haben, als diejenigen,
die sich in ihrem Vertrauen haben täuschen lassen, theuer zu stehen kommen.
Die schlimmsten Folgen drohen am Ende England, das seine Handels- und Condottiere-
Interessen mit den Interessen der Unterthanen des Mikado theilweise schon identificirt hat oder
identificiren will. China ist viel zu passiv und undurchdringlich, als dass es die Vortheile und Nachtheile
der nur halb aufrichtigen, fieberhaft eilfertigen Politik des von ihm nur durch das Meer geschiedenen
asiatischen Nachbars versuchen sollte. Russland, das sich neue Bahnen in den Stillen Ocean
eröffnet, ist allzu stark und von zu unerschütterlichem Glauben in seine Zukunft erfüllt, als dass
ihm das uns Russen eigentlich sympathische moderne japanische Kaiserreich, das in seinen Grundlagen
bis zur Stunde doch nur zusammengehalten wird durch die Elemente einer altersschwachen,
fast vorhistorischen Cultur, in die Quere, kommen könnte.
Die übrigen Grossmächte liegen hinsichtlich des Schwerpunktes ihres Wesens und ihrer
Colonialinteressen Japan verhältnissmässig fern. Die Entwickelung der Handelsbeziehungen des Landes
des Sonnenaufgangs zu Frankreich, Amerika und Deutschland trägt nicht wenig zur Zeitigung und
zum Ausbruch der Krisis bei, von der ich spreche. Die Gewohnheit der Engländer, andere Völker
ausschliesslich als blinde Werkzeuge der britischen Erwerbsgier zu betrachten, muss über kurz oder
lang, jedenfalls früher, als es die optimistischen Diplomaten werden gewahr werden, den Zorn der
japanischen Eigenliebe entflammen und diesen Zorn zu beschwichtigen, wird dann kein leichtes
Stück Arbeit sein. Die englische Presse, die Erzieherin der hier herrschenden sogenannten öffentlichen
Meinung, hat den Japanern das arglistige Lied von der Grösse ihres Genies, von ihrer Ueber-
legenheit über alle umliegenden Völker, von ihrer Weltbedeutung u. dgl. vorgesungen. Sollten die
Japaner diese Wahnträume in Thaten umsetzen wollen (wovor sie Gott behüten möge!) — dann
treffen sie auf der einen Seite der von ihnen beschrittenen Arena das gerade wegen der Zähigkeit
seines passiven Widerstandes ' unbesiegbare Himmlische Reich, das stets kühne Freibeuter angelockt
und ihnen recht oft am nächsten Tage ihres Schlachtenruhmes in anderer Hinsicht eine Niederlage
bereitet hat. Auf der ändern Seite aber, etwas höher im Nordwesten, über dem lockenden Korea,
blitzen noch andere viel gefährlichere Bajonette.... Das Reich des Mikado aufzuwiegeln, die
ehrgeizige Nation zu ephemeren, leichten Heldentaten aufzustacheln, ist nicht schwer. Tritt aber
.ein Misserfolg bin, dann lodert sicher die Flamme des Aufruhrs im Innern empor.