
sich ein Japaner und ein Russe aus dem gemeinen Volk viel näher als Westeuropäern.
Der Bewohner des „Landes des Sonnenaufgangs“ fühlt aus uns instinctiv einen Theil heraus jener
kolossalen geistigen Welt, welche die Mystiker Hand in Hand mit der pedantischen Gelehrsamkeit
durch das nebelhafte Wort „Orient“ bezeichnen, d. h. die Geburtsstätte schöpferischer Ruhe, aus
welcher von alters her in die Wahlstatt der Geschichte die grössten Friedensstifter und Heldenmonarchen
Bei Gelegenheit der Osterfeier wurde vom Chef des Geschwaders an Seine Majestät den
Kaiser folgendes Telegramm abgesandt: „Das unter der Flagge Sr. Kaiserl. Hoheit des Gross-
fürsten-Thronfolgers stehende Geschwader hat das Glück, Euere Kaiserlichen
Majestäten zum hohen Osterfeste zu beglückwünschen.“
Auf dieses Telegramm erhielt der Viceadmiral Nasimoff die
Antwort: „Christus ist auferstanden! Von ganzem Herzen
danken Wir dem Geschwader; Wir beglückwünschen
alle zu dem hohen Feste. Ich danke allen Mannschaften
für die Fahrt mit Meinem
Alex ande r.“
Am Ostersonntag frühstücken die
erlauchten Reisenden in der Offiziersmesse
der „Pamjat Asowa“ und betrachten
vom Balkon des Hecks aus
das japanische Tagesfeuerwerk. Seine
Eigenart besteht darin, dass aus im
Winde flatternden Lappen, die man
aus kleinen Bomben und Raketen
abschiesst, im schwarzen Pulverrauch
mannichfaltig geformte Flaggen und
Kugeln, seltsame, aus farbigem Papier
ausgeschnittene Menschen-, Drachen-
und Vogelfiguren aufsteigen.
Mit Anbruch der Nacht setzen
sich die Offiziere an die Ruder und
geleiten den Thronfolger, der auf dem
„Admiral Nachimoff“ das Diner eingenommen
NACH KAGOSIMA.
hatte, nach der „Pamjat Asowa“ . Die vom Dunkel umhüllte Woge sprüht unter den
kräftigen Ruderschlägen phosphorisches Licht aus. Die Bucht schläft. Die Luft ist schwül und
wirkt erschlaffend. Was. weiss uns diese noch kurz vorher fast verboten gewesene Rhede von
Nagasaki mit ihren weichen, nur schwach aus der Finsterniss hervortauchenden Umrissen zu sagen?
Montag, 4. Mai.
treten, um unser irdisches Dasein zu heiligen und zu erleuchten.
Sohne.
Der heutige Morgen ist überaus lebendig. 'Wir laufen am nächsten Tage nach Kagosima
im Süden aus. Ein Detachement unserer Kanonenboote unter dem Commando des Flaggenkapitäns
Bauer ist schon vor uns direct nach Kobe abgegangen. Unter dem Donner der Salutschüsse
besucht kurz vor elf Uhr die „Pamjat Asowa“ der junge Prinz Takechito Arissugawa mit seinem
Gefolge, der hierher gereist war, um den der Regierung willkommenen kaiserlichen Gast zu bestehen
willkommnen. Der Prinz ist ein naher Verwandter des Mikado,' eine Zeit lang hatte er sogar
für den Thronerben gegolten. Als er einen Abstecher nach Europa machte, um seine Bildung
zu vervollständigen, war er auch am russischen Hofe sehr gastfreundlich aufgenömmen worden.
Bis dahin war der Grossfürst officieil in Japan sozusagen noch nicht gewesen. Zwar war
uns schon vor einer Woche in der Frühe auf der Höhe der Insel Papenberg (in der einheimischen
Sprache Täkaboko) das japanische Kriegsschiff „Takao-kan“ mit Donnergruss entgegengefahren,
und um neun Uhr, als wir den Anker auswarfen, waren die Ortsbehörden und der-russische
Gesandte Schewitsch mit unserm Consul De-Vollant nebst zwei • Dragomänen erschienen,
um sich Seiner Kaiserlichen Hoheit vorzüstellen. Vom Dampfer „Adler“ , der Rekruten nach
Wladiwostok führte, erscholl in donnernden Salven nicht enden wollendes Hurräh. Allein diese
Kundgebungen konnten auf die Eingeborenen nur einen halben Eindruck gemacht haben.. Die
Bevölkerung, die wohl wusste, wer ins Land gekommen war, wartete sehnsüchtig auf noch grössere
Ehrenbezeigungen, auf innigem
Verkehr des Flaggschiffes mit
dem Festlande. Stehen uns
doch nach dem Programm für
Japan mehr als 30 Tage Aufenthalt
zur Verfügung, um es in
allen Richtungen zu durchfahren,
seine Naturschönheiten
und das eigenartige Wesen
der Insulaner zti bewundernj
Macht doch unser Besuch selbst
der trotz ihrer Unreife maasslos
argwöhnischen einheimischen
Presse viel zu schaffen und erblickt
sie darin ein Ereigniss
von bedeutendem politischem
Hintergrund!
Eine Stunde nach dem
Besuche des Prinzen, der zwar
schon früher, aber incognito,
angefahren gekommen war, um mit dem Thronfolger zu frühstücken, begeben sich Seine Kaiserliche
Hoheit und der Prinz Georg mit grossem Gefolge feierlich in die Stadt. Die Kanonensalven
machen sie wie von einem Erdbeben erzittern. Musik ertönt. Die Mannschaften entern auf die
Raaen. Am Landungsplätze Ochato haben sich bei einem aus Bambus errichteten Triumphbogen
zum Willkomm Seiner Hoheit versammelt der Prinz Arissugawa und diejenigen Herren, die aus
Tokiö abgesandt worden sind, um dem erlauchten Reisenden das Geleite zu geben: der Generallieutenant
Kawakami, der durch seine Fortschrittsbestrebungen bekannte Contreadmiral Ito, sodann
eine Seiner Majestät dem Mikado als Secretär nahe stehende Persönlichkeit, Sannomiya, ferner der
Ceremonienmeister Baron Madenokosi, der russisch spricht und als Pathenkind der durch ihre Wohl-
thätigkeit berühmten russischen Gräfin Elisabeth Heiden orthodoxen Glaubens ist; ferner der hiesige
Gouverneur Nakano mit den Spitzen der Verwaltungsbehörden.
Seit dem frühen Morgen Platzregen. Das Wetter, das sich im Augenblick der Begegnung
etwas aufgeheitert hatte, verschlechtert sich wieder. Während es regnet, setzen wir uns in die
Dschinrikschawägelchen. Deren Leute sehen mit ihren pilzähnlichen Korkhüten und weissen
Orientreise. II. . •. H - .9;- • •