
sehe man die Umgebung nicht mit eigenen Augen, sondern in Form einer conventioneilen
Zeichnung aus dem fernen Osten auf einem fein lackirten Schränkchen oder einem Präsentirbrett,
die eine charakteristische japanische Landschaft wiedergibt.
Nachdem der Donner des Saluts unsers auf der Rhede versammelten Geschwaders vom
Stillen Ocean sowie der der übrigen Kriegsschiffe verstummt ist, hallt er über den Häuschen
der Eingeborenen noch lange nach, und von dem Riesendampfer „Adler“ der Freiwilligen Flotte
erschallt in betäubenden Salven das Hurrah. Auf diesem Schiffe befinden sich die zur Erbauung
der Eisenbahn von Wladiwostok aus abcommandirten Ingenieure, ferner Baumaterialien und
junge Rekruten für den Ussuri-District. Beim Anblick dieses schwimmenden Riesen, der nach
unserer ostasiatischen Nebelküste das Unterpfand nahen Aufschwungs und machtvollen Erwachens
trägt, taucht vor der Seele eine hellleuchtende Reihe von Gemälden empor, von Gemälden der
Ostrussland erwartenden Grösse und Blüte, der Bereicherung der Wissenschaft vom Menschen.
Reiche Museen, als deren Vorbilder schon diejenigen von Irkutsk, Tobolsk und Minussinsk dienen
können, werden in diesem Lande, das seine Zukunft freudig vorausahnen muss, bald aus dem
Boden wachsen. Das „Alterthum“ , wie es in diesen halbwilden, heidnischen Welten als Jäger-,
Hirten- und Ackerbauer-Dasein sich in den mannichfaltigsten Formen der Cultur Chinas, Indiens
und von Irano-Turan widerspiegelt, findet dort jetzt noch seinen Platz und seine Erklärung. Die
Schöpferkraft der kühnen Sibirier, die sich noch jüngst bei der Betheiligung der heldenhaften
Kosaken des Steppen-Generalgouvernements in den turkestanischen Feldzügen so segensvoll bewährt
hat, wird und muss unser Reich mit unauflösbaren Banden an das mit uns rasseneinige
Asien fesseln. NAGASAKI UND KAGOSIMA.
JE ine Fülle von Nachrichten und Reflexionen harrte unser auf der Fahrt nach
Jap^n, als die „Pamjat Asowa“ die Fluten des Oceans in der Richtung nach dem „Lande
des Sonnenaufgangs“ oder vielmehr der „Heimat des Tagesgestirns“ sanft durchschnitt.
Ehen erst von dort zurückgekehrte Marineoffiziere waren von dem Lande, seiner Frühlingsluft
und ihrem Glanze, vom japanischen Eifer, die Bahn des abendländischen Fortschrittes
zu betreten, sowie von seiner Höflichkeit und Vorurtheilslosigkeit gegenüber
Fremden entzückt. Die Stimmen einzelner Offiziere, die, erfahrener, davor warnten, sich
durch die Neusehöpfungen des für Europa neuen, eigentlich den Eindruck eines lebenden
Fossils machenden Volkes nicht hinreissen zu lassen, verhallten in dem allgemeinen Chor
der bedingungslos sympathischen Aeusserungen. Um so interessanter wird es für uns
sein, während eines vier bis fünf Wochen dauernden Aufenthalts im Reiche des Mikado
die sich gegenseitig ausschliessenden Meinungen über dessen Unterthanen und die sie thatsächlich
erfüllende Stimmung auf ihre Wahrheit zu prüfen.
In diesem Staate bietet gegenwärtig alles an sich das Bild eines überraschenden Contrastes,
eines innern Widerspruchs, eines Netzes schlau verflochtener Märchen politischen Charakters, die
den Zweck verfolgen, das Einheimische davor zü schützen, dass das Fremde, Ausländische
in den Grundbau der nationalen Lebensordnung eindringe. Die über Nacht in den Kreis der
Culturvölker eingetretenen Japaner erscheinen dem leidenschaftslosen Blicke eines abendländischen
Beobachters als etwas Unverständliches; im innersten Kerne unbegreiflich bleibt es, wie sie in
ihren geheimsten Gedanken und Gefühlen die eigene vaterländische, nach der Ansicht der Nichtjapaner
barbarische Vorzeit in den Himmel zu erheben und doch zugleich sich an alle überseeischen
Neuerungen zu hängen im Stande sind, wie sie es über sich bringen, die Nachahmung der modernen
Orientreise. II. • • ‘ - 9°