
Um i Uhr wird auf dem „Wladiwostok“ das Abschiedsfrühstück für die Vertreter der
russischen Colonie gedeckt.
Bevor um sechs Uhr morgens die Anker gelichtet werden, erscheint noch ein diplomatischer
Beamter, um im Namen des Vicekönigs Ihren Hoheiten seine Glückwünsche für die Reise zu
überbringen. Zugleich lässt Tschang-tschi-tung, in seiner Eigenschaft als berühmter Schriftsteller dem
Grossfürsten-Thronfolger selbstverfasste, auf einen Fächer geschriebene Verse überreichen. Dies
wird als Ausdruck besonders freundschaftlicher Gefühle betrachtet. Der Inhalt der eigenhändigen
Einschreibung ist:
„Sein schnelles Schiff hat den Grossfursten-Thronfolger von Ocean zu Ocean geführt, ihn,
dessen Morgenröthe St.-Petersburg erblickte. Die Sonne leuchtete über dem Pavillon des strahlenden
Stromes, als die Ehrenbezeigung stattfand. Die grellen Farben unsers Landes bewillkomm-
neten das gastfreundliche Banner dessen, der eine lange Reise unternahm, um die Schönheiten
dreier Welttheile zu gemessen. Der heutige, glorreiche Tag ist Zeuge des Bruderbundes zweier
Völker. Das Andenken
an diesen Festtag wird
niemals erlöschen, haben
doch Himmel und Wasser
weithin Frieden und
Segensglanz widergestrahlt.“
Das dem Prinzen
Georg vom Vicekönig
gewidmete, ebenfalls auf
einen Fächer geschriebene
Gedicht zeichnet
sich durch nicht geringere
Originalität aus:
„Mit Freuden kam
er die Feldblumen des
Ein w a n d e r e r in Sib ir ie n . Landes Hupeh pflücken,
und die Farben seiner
Flagge1- erleuchteten den Horizont. Als wir die Frühlingsstrahlen betrachteten, glichen wir
an harmonischem Klang den Vögeln auf der uns benachbarten Insel und kosteten Weine aus
krystallenen Schalen. Die Prinzen, ein Kinderpaar aus zwei Reichen, erinnern an Blumen aus
kostbarem Jaspis.
„Das schöne Griechenland ging darauf aus, sich durch Künste und Wissenschaften berühmt
zu machen. Ich, ein alter Mandarin von Hunan, danke dem Fürsten dafür, dass er sein Schiff
anlegen Hess, um mich um dieses Gedicht zu bitten.“
Die letzten Verse erscheinen besonders merkwürdig im HinbHck auf die Erwähnung von
Hellas, mit dessen Cultur das Himmlische Reich im Alterthum mittelbar durch einige wichtige,
wenn auch wenigen bekannte Entlehnungen verbunden war. Davon wird wol auch der hochgeschätzte
Dichter Tschang-tschi-tung kaum eine Ahnung haben!
Die Sache verhält sich so: In alten Zeiten trieb China Handel mit den kuschitischen Küsten
Arabiens, die Vermittler waren unternehmende Hindus. Unter dem Einflüsse der hellenischen
CiviUsation lehrten die Hindus unter anderm die Unterthanen des Sohnes des Himmels die Münzprägung,
astronomische Kenntnisse und die Alchymie.
Namens unserer Kaufmannschaft werden den erlauchten Reisenden zum Andenken noch
Vasen und Stickereien, spanische Wände von Ebenholz mit wundervollen Schnitzereien, eine, silberne
Pagode aus Peking, Albums mit den Ansichten von Hankau und alle Arten von Thee, aber auch
Modelle von den bei der Ziegeltheebereitung verwendeten Maschinen als Geschenke ■ üherbracht.
Das während der Tage in Hankau ausgezeichnete Wetter hat sich verschlechtert. Es regnet
und wird kühl. Das freundschaftliche „Hurrah“ verhallt hinter dem „Wladiwostok“ schmerzlich in
den Herzen unserer von uns Abschied nehmenden Landsleute. Der Grossfürst-Thronfolger steht an
Bord des Schiffes und winkt ihnen gnädig Absehiedsgrüsse zu.
Die Rückkehr den Jangtsekiang hinab nach seiner Mündung bietet nichts besonders
Interessantes. Bei der Schnelligkeit, mit der wir dampfen, wechseln die Naturgemälde ausserordendich
rasch ab und verwischen sich. Von den Punkten am Ufer ziehen höchstens ein paar die Aufmerksamkeit
auf sich: Wuchu, dann der Vorort von Nanking, und Wusung. Das erste ist durch die Stürme
berühmt, die mehr als einmal über seine europäische Bevölkerung hereingebrochen sind, denn das
hiesige 'gemeine Volk ist gegen die Missionare und gegen die Engländer erbittert Es will sich
mit den Repressalien, die man genommen, nicht versöhnen, sich den Anforderungen der furchtsamen
Obrigkeit nicht fügen und ist stets gern bereit, sich nach irgendeinem Zwischenfall gegen
die Fremden zu bewaffnen. Selbst im Predigergewande gilt ihnen ein Europäer als ein Wolf
im Schafspelz.
Die hauptsächlich in die Augen fallenden Gebäude in Wuchu sind die presbyterianische und
die Jesuitenmission, das englische Consulat und das Zollgebäude. In der Ferne flimmert auf einem
Hügel eine Pagode von sieben Stockwerken.
Die Behörden von Nanking haben sich auf Befehl des Bogdychan längst schon vorbereitet,
den erlauchten Gast innerhalb .des mittelalteriichen Centrums von China feierlich zu empfangen.
Zu diesem Zwecke sind sogar einige Denkmäler des Alterthums restaurirt worden. Alles was
zum Besten gehörte, ist leider von Meuterern in der Mitte dieses Jahrhunderts vernichtet worden.
Nanking selbst ist vom Strome aus nicht sichtbar. Aus der Ferne sind nur die Essen
seines Arsenals und die Dächer einiger Pagoden zu unterscheiden. Der nächste Arm des Jangtsekiang
ist mit Vertheidigungswerken versehen, deren Batterien von Bäumen vortrefflich maskirt werden.
An demselben Ufer, wo der Vorort der einstigen Hauptstadt anfängt, ist auf dem seiner Form
wegen sogenannten „Löwenhügel“ ein Fort erbaut Gegenüber Hegen die Mauern der Stadt
Kiang-fu, die beim Fall der Ming-Dynastie die erste war, die sich auf die Seite der hereingebrochenen
Mandschu geschlagen hatte.
Der Grossfurst-Thronfolger wird unweit von Nanking von den höchsten Behörden der Stadt
empfangen, mit der Einladung, die Stadt zu besuchen und in dem eigens für ihn eingerichteten,
mit seltener Pracht ausgestatteten, herriichen Palaste Quartier zu nehmen. Aber die Tage der Reise
sind gezählt, ein Abstecher zu den dortigen Sehenswürdigkeiten ist daher nicht mehr ausführbar.
Bei den Sattel-Inseln erwartete (25. April) den Grossfürsten die aus dem „Lande des
Sonnenaufgangs“ hierher zurückgekehrte „Pamjat Asowa“ .
....R o s ig e Gipfel einer Bergkette erheben sich vor uns über dem von lichtem Nebel ein-
gehüUten Horizont. Sie rücken immer näher und näher, werden blauer und blauer und bestimmter:
es i s t J a p a n !
Felsen und dichtverschlungenes Grün zu beiden Seiten. Der enge, lange Meerbusen,
der den Eingang zu Nagasaki bildet, ist unter der über ihn hereinhängenden Kette schattiger Anhöhen
so eigenartig schön, dass er zuerst wie künstlich geschaffen erscheint. Zuweilen ist es, als