
für ein Stipendium an der orientalischen Facultät der Universität St.-Petersburg zur Förderung des
Studiums der chinesischen, mongolischen und mandschurischen Sprache und Literatur.
Von hier fuhren die erlauchten Reisenden zur Kirche, wo für die soeben verstorbene Grossfürstin
Olga Feodorowna, die Gemahlin des alten Grossfürsten Michail, ein Trauergottesdienst
gefeiert wurde. Auf der Fahrt zur Kirche hielt der Grossfürst-Thronfolger bei der Kleinkinderbewahranstalt,
die unter der Aufsicht italienischer Nonnen steht und die von armen Eltern verlassenen
Chinesenmädchen aufnimmt. Der hohe Gast wurde von der- ganzen Gemeinschaft, an ihrer Spitze
die Oberin, feierlich bewillkommnet Letztere begleitete den Grossfürsten durch das gut geleitete
Institut und überreichte ihm eine kunstvolle Arbeit der Zöglinge, ein Spitzenkleid, als Geschenk
für Ihre Majestät die Kaiserin. Seine Kaiserliche Hoheit machte der Anstalt ein Geschenk von
2000 Mark.
Die erste Stiftung dieser Art innerhalb Chinas wurde im Jahre 1596 zu Makao unter dem
Namen „Santa Casa da Misericordia“ gegründet. Sie erschien dem dortigen Volke nicht als etwas
Unerhörtes. Gilt es doch in China für eine althergebrachte Pflicht der Gesellschaft, für kleine arme
Waisenkinder und für Säuglinge, die den Eltern
zeitweilig eine schwere Last sind, Fürsorge zu
treffen. Als man die Versorgten natürlich zum
Christenthum bekehrte und sie den Verwandten,
die den Wunsch ausdrückten, ihre Kinder wieder
zu sich zu nehmen, nicht zurückgab — was in
den Augen der Chinesen geradezu ruchlos ist
da riefen die philanthropischen Bestrebungen
der Missionare im Volke feindselige Stimmungen
hervor.
In den weitesten Kreisen ist die Ansicht
verbreitet, als ob die Unterthanen des
Sohnes des Himmels wahre Ungeheuer wären,
die ihre neugeborenen Kinder den Hunden und
c h in e s e n k in d . Schweinen zum Frasse überliessen. Es ist aber
. wohl bekannt, dass nirgends in der Welt eine
solche Liebe zu den Kindern herrscht als im Himmlischen Reiche, wo sie auf religiöser Grundlage
beruht. Was wahr daran. ist, ist Folgendes: arme Leute sind zuweilen nicht in der Lage, ihre
kleinen Kinder zu ernähren, und geben sie dann gern in fremde Hände oder bringen die weiblichen
Säuglinge in die Findelhäuser. Denn während Knaben für ein Geschenk des Himmels gelten,
bilden Mädchen keineswegs den Stolz von Vater und Mutter.
Stellt man eine genaue zahlenmässige Vergleichung zwischen den Fällen von Grausamkeit
der Eltern gegen die Kinder im Abendlande und im Reiche der Principien des Confucius, so fällt
diese keineswegs zu Gunsten der civilisirten Nationen aus. Es muss auf die Chinesen schon
aufregend wirken, dieses zu wissen. Aber sie müssen auf Schritt und Tritt den herzlosen Egoismus
der weissen Rasse von. jenseits des Meeres erblicken, einer Rasse, die es wagt, den „gelbgesichtigen
Heiden“ aus dem Munde weniger Auserwählter die ewigen Principien der Liebe zu predigen, während
ihre Landsleute mit Kartätschen und schonungslosen .Contributionen, mit gieriger Roheit und Gewalt-
that die Wahrheiten der höchsten Ethik in den Augen des tief empörten, doch schutzlosen Ostasiaten
discreditiren. Man braucht sich dann nicht zu wundern, wenn die Volksmassen sich dem aufrichtig
feurigen Eifer der Missionsschwestern, wahrer „Engel des Lichtes und des Erbarmens“ , gegenüber
ablehnend verhalten, trotzdem diese Glaubensboten nur hierher kommen, um den Leidenden zu
helfen, die zu Grunde Gehenden zu retten und das Uebel in der Welt überhaupt zu heilen. „Weshalb
übt ihr denn diese Thätigkeit nicht bei euch daheim aus, wo es doch sociales Elend genug
gibt?“ , lautet die verfängliche Frage der chinesischen Patrioten.
Eine gewisse Abgeschlossenheit und Geheimthuerei, mit der sich die Nonnen zu umgeben
pflegen, die bedeutende Sterblichkeit, die unter den Kindern herrscht, die häufig erst in das Asyl
kommen, nachdem sie schon von Hunger und Krankheit erschöpft sind, die von den Feinden aller
Ordnung ausgestreuten Gerüchte, man tödte in der Anstalt die Kleinen, um mit ihren Leichentheilen
zu zaubern, um Ingredienzien aus ihnen zu bereiten, zu deren Composition gewisse innere Organe
nöthig seien ||| alles zusammengenommen schadet der Mission der selbstverleugnungsvollen europäischen
Frauen. In China vermag niemand die halbsieche Gestalt einer christlichen Heroine zu
begreifen, die der Heimat und allen Verlockungen der Welt entsagt hat, um in Ekstase Nächte lang
betend an der Wiege eines kranken Chinesenmädchens zu weilen.
Die Gemeinschaft der Schwestern von Hankau, die auch ein Asyl für altersschwache Eingeborene
und ein kleines Hospital unterhält, sorgt für etwa 500 Mädchen. Ein Theil der Kinder
ist in den Umgebungen der Stadt der Pflege von Ammen anvertraut. Die ältern werden in der
Anstalt im Lesen und Schreiben und in nützlichen Handarbeiten unterrichtet. Ihre spätere Bestimmung
ist, Frauen ihrer getauften Rassegenossen, zu werden. Unter dem Zwang eines harten
Brauches werden auch hier den armen Wesen von frühester Jugend an die Füsschen entstellt, anders
finden sie selbst unter den Bekehrten keine Bräutigame!