
Die gelben Wogen des Stromes vermischen sich mit den hellblauen Fluten eines
Zuflusses, der aus einem benachbarten See entspringt. Wir gelangen zu einem der reizendsten
Punkte unserer Stromfahrt. Schon früher hatten wir Inseln getroffen, die wie die „Goldinsel“ ,
die „Silberinsel“ , sich höchst wirkungsvoll ausnahmen, doch die sich jetzt vor unsern Blicken
eröffnende Landschaft lässt an wunderbarer Harmonie der Linien alles Frühere weit hinter sich.
Eine Insel hat sich der Sage nach an der Stelle erhoben, wo eine arme Fischerfamilie während
eines Sturmes der Untergang ereilte. Das jüngste Kind kämpfte länger als die Eltern mit den
Wogen, sank aber schliesslich doch unter. Die Volksphantasie hat die Einzelheiten seines Endes
poetisch ausgeschmückt. Ein durch seine malerische Form berühmter Granitfels, „der Fels der
kleinen Waise“ , befindet sich nahe dem linken Ufer des Jangtsekiang. Die Nordabhänge sind
vollständig kahl, die Südabhänge versinken in üppiger Vegetation, und an einer der obersten Terrassen
klebt ein buddhistisches
Kloster.
Neun Uhr morgens.
Siehe, da rollt sich in
der Ferne auch Han-
kau vor unsern Blicken
auf. Das blühende
Culturland ringsumher
erinnert geradezu
an Mitteleuropa; langsam
nähert sich der
„Wladiwostok“ mit
seinen Begleitschiffen,
den russischen und
chinesischen Kanonenbooten,
dem Ankerplatz
im Hafen des
europäischen Stadtviertels.
Die ersten, die auf
RUSSISCHER COMMIS MIT MONGOLEN. ' t tn r i dem Dampfer anlangen,
sind der kaiserliche
Geschäftsträger Kleimenoff aus Peking und der hiesige Consul Dmitrewskij, einer unserer
hervorragendsten Sinologen. Gleich nachher empfängt der Grossfürst-Thronfolger den Besuch des
hiesigen Generalgouverneurs, der auf einem festlich geschmückten Kutter mit einem grossen Gefolge
in Gala angefahren kommt. Der alte Herr, der ein paar Provinzen mit 60—70 Millionen
Bevölkerung verwaltet, ist der bekannte Schriftsteller Tschang-tschi-tung, der vor Li-hang-tschang
in Kanton war und, bei aller Achtung vor dem materiellen Fortschritt, zu dem es das Abendland
gebracht, gleichwol seine Feindschaft gegen die Europäer hinlänglich bewiesen hat. Als die Regierung
des Bogdychan die Frage erwog, wie die innern Gebiete des Reiches mit der Residenzstadt
in innigere Verbindung gesetzt werden könnten, stimmte dieser Vicekönig, ein eifriger Förderer
der vaterländischen Interessen, in einem besondern Mémoire an den Sohn des Himmels dieser Idee
zwar zu, aber unter dem nachdrücklichen Vorbehalt, dieselbe nicht den ausländischen Ingenieuren
zur Ausbeutung zu überlassen und überhaupt kein fremdes Material zu erwerben. Ihm schwebte
das Ziel vor Augen, vor allem die Technik im eigenen Lande zu heben, sich die unglaublich
billigen einheimischen Arbeitskräfte zu Nutze zu machen und die nothwendigsten Bauten aus den
natürlichen Hülfsquellen Chinas zu schaffen. Zu dem Ende wurde der Beschluss gefasst, am
Jangtsekiang eine kolossale Maschinenfabrik zu gründen und sie durch eine Eisenbahnlinie mit
den Fundorten des Erzes zu verbinden. Tschang-tschi-tung, der in den Augen des Volkes für
einen der uneigennützigsten Beamten gilt, wies zur Verwirklichung des Planes gewaltige Summen
an und lud anfangs zur Oberleitung europäische Specialitäten ein; auch schickte er gleichzeitig
fähige .Arbeiter zur weitern Ausbildung nach Belgien.
Schon auf den Märkten des kaiserlichen Rom wurde das chinesische Eisen als das beste
anerkannt. Es liegt kein Grund vor, weshalb es bei der gegenwärtigen Entwickelung der Metallindustrie
in Ostasien nicht wieder seine alte hohe Bedeutung erhalten sollte. Kommt nicht bald
SAGAIER.
der Tag, wann Amerika, England, Schweden und Deutschland in Beziehung auf Eisen und Stahl
in dem mit eigenen Erzlagern gesegneten China einen wichtigen Markt verlieren?
Der Generalgouverneur bleibt eine halbe Stunde auf dem „Wladiwostok“ . Nach seinem
Weggang begeben sich Ihre Hoheiten in die griechisch-orthodoxe Kirche. Die breite Treppe des
Hafens ist mit rothem Tuch bedeckt. Das Ufer und die Häuser des Europäerviertels sind
luxuriös mit farbigen Laternen, Flaggen, Namenszügen, Prunkschilden und Blumengewinden
decorirt. Der Pavillon und das hergebrachte britische „Welcome“ vervollständigen das Bild
eines prachtvollen Begrüssungsschmucks. Längs der Hauptsträsse stehen zwei Reihen hoher Masten
mit Decorationen.
Zum Zug in die Kirche sind Equipagen bereit. Der Grossfürst-Thronfolger setzt sich
mit dem Prinzen Georg von Griechenland in eine derselben und nimmt die Zügel selbst in die Hand.
Orientreise. - II.