
bedeckungen mit langen seidedurchflochtenen Zöpfen verrathen nicht mit der geringsten Mienenbewegung,
dass sie am Verkauf irgendwelches Interesse haben.
Indem wir uns zum Frühstück ins Haus des französischen Consuls begeben, haben wir
noch einmal Gelegenheit, die von den Chinesen an die Weissen abgetretene kleine Insel kennen zu
lernen, auf deren sandiger Düne sich jene recht gemüthlich einzurichten wussten. Die schattigen
Rasenplätze von Schamin werden von asphaltirten Fusspfaden durchschnitten; die Kirche, die
Villen, die Comptoirs sind vom saftigen Grün umrahmt. Nur eins muss auf der Seele der Ausländer
lasten: die unversöhnlich feindselige Stimmung der Einwohner von Kanton. Nachts wird
an den Brücken Wache gehalten; doch die Kanäle unter ihnen scheinen so schmal und von
Booten so voll zu sein, dass es den Pöbel gar keine Mühe kosten würde, jederzeit in Massen
nach den Wohnungen der Europäer zu strömen.
Die gastfreundliche Frau Imbault-Huart, selbst ein Spross Asiens, entfaltet bei dem
Besuche, der dem Hause des Consuls zutheil wird, ebensoviel bezaubernde Liebenswürdigkeit
wie ihr ausserordentlich sympathischer Gemahl. Er ist ein junger Beamter, auf den Frankreich
und die Sinologie mit Recht stolz sein dürfen! Seine gelehrten Arbeiten umfassen Themata
der interessantesten Art, die ihm zusammen mit seinen chinesischen und koreanischen Lehrbüchern
, seinen Reiseskizzen und Literaturessays von seinem zwanzigsten Jahre an eine wohlverdiente,
weitreichende Berühmtheit eingetragen haben.
AU F DEM JA N G T S E K IA N G .
E E s dauert nur noch anderthalb Monate, bis wir wieder in die russischen Gewässer ein-
laufen. Fast unmerklich werden diese Wochen vor unserm Blick über die innern Provinzen des
Himmlischen Reiches vorübergleiten; beflügelt werden wol auch die kommenden Tage uns entschwinden
vor dem Zauberreiz der Ausflüge, die wir durch Japan nach allen Richtungen unternehmen
werden.
Aus Mangel an Zeit fahren wir nicht nach Tschifu hinauf, das den Mittelpunkt der besten
zur Verfügung des mächtigen Kanzlers stehenden Truppen ist Es ist nicht möglich, zu beurtheilen,
wie die Versuche der Regierung von Kanton, die in Europa gebauten Panzerschiffe nachzuahmen,
ausgefallen sind und inwiefern die darin von der Regierung des Bogdychan erreichten Resultate
für die nahe Zukunft von Bedeutung sein dürften.
Die Marineschule in Kanton steht an der Stelle, wo sich früher einige Docks reicher
Hongkonger Kaufleute befanden. Die Instructoren sind deutsche Offiziere. Den jungen Chinesen
wird Taktik und Seeminen-Wesen vorgetragen. In der Nähe der Anstalt befinden- sich einige
Torpedoboote von der Stettiner Werft „Vulkan“ , die mit Schwarzkopf sehen Torpedos versehen
sind; ausserdem können sich die Zöglinge praktisch mit den Befestigungen im Delta und um
die Strommündung herum bekartnt machen. Dank dem hartnäckigen Bestreben der „überseeischen
Barbaren“ , in das Land einzudringen, sind dessen Bewohner nach und nach zu dem Bewusstsein
gekommen, dass man den Gegner mit seiner eigenen Waffe zurückweisen müsse.
Früher sperrten kolossale Ketten den obenerwähnten „Tigerrachen“ ab. Das war in jener
naiven Zeit, als die Unterthanen des Bogdychan sich noch für gebildeter und mächtiger als die
ändern Völker hielten.
Die weissen Ankömmlinge, die das Handelsinteresse hierher führte, hoben anfänglich das
Prestige der christlichen Nationen durchaus nicht. Vom stärksten Reisschnaps betrunkene Matrosen
trieben damals in Wampoa ihr Unwesen, drangen in die Tempel ein und beschimpften die Götterbilder.
Die einheimischen Behörden beachteten diese Roheiten der Ankömmlinge nicht
Am Ende bildete sich im Abendlande die Ueberzeugung, dass China keine andere Behandlung
als Vergewaltigung verdiene. Als es, im Laufe der Zeit sich auf eigene Füsse zu stellen suchte,
gab man ihm auf einmal zu verstehen, dass man es in politischer Beziehüng mit den jungen
Orientreise. II. v 77