
den Versuch, den Feind, dem so schwer beizukommen war, mit Geschenken zu gewinnen, einen
Feind, der über Nacht ins Centrum des Reiches selbst einbrechen konnte. Sie versuchten auch,
nach ihrer Art ein Kosakenheer in den Grenzgebieten der Steppe zu organisiren, und richteten
den Mongolen Jahrmärkte ein, auf denen jene ihre Pferde und ihr Vieh sehr vortheilhaft absetzen
konnten, hauptsächlich gegen Getreide und Bohnen. Allein der Nomade strich zwar mit Behagen
seinen Sold ein, betrachtete denselben aber fast als Tribut. Zur Schaffung eines kriegstüchtigen
Grenzheeres aus Ackerbauern gebrach es ausserdem natürlich am kriegerischen Geist. Im Hinblick
auf die ökonomische Abhängigkeit des Reiches war man der natürlichen Reichthümer der
mongolischen Hochebene weit mehr bedürftig als diese Nordchinas.
Die erlauchten Reisenden nehmen beim Vicekönig von Kanton in einem besondern Pavillon
mit Aussicht auf einen Garten das Frühstück ein. Vornehme Chinesen sind die raffinirtesten
Gastronomen und zugleich die höflichsten Gastwirthe der Welt.
Erzählungen über das, womit sich das arme Volk nährt, sind wenig appetitlich, dürften
aber interessiren. Da werden
verkauft Eulen und
Eidechsen, für Genesende,
Pferdefleisch und Wasserschlangen,
an der Luft getrocknete
Ratten zur Stärkung
des Haarwuchses und
Schärfung des Gehörs,
schwarze Katzen und eine
eigens gemästete Art von
Hunden, deren fettes Fleisch
der abzehrenden Wirkung
der Hitze vörbeugen soll.
Wer es vermag, ist auch
dort in allen Speisen sehr
SOIOTEN VON DER MONGOLISCHEN GRENZE.
wählerisch, und die Kochkunst des Himmlischen Reiches gibt der europäischen in nichts nach; man
muss sich nur an den übermässigen Gebrauch von Fett, Zwiebeln und Knoblauch gewöhnen.
Ein Europäer von capriciösestem Geschmack wird sich eine gute chinesische Mahlzeit vorzüglich
schmecken lassen. Die Producte, die auf den Tisch der Reichen gelangen, kommen vom
Persischen Meerbusen, vom Sunda-Archipel, aus Indien und aus Siam. Den ersten Rang in der
Zahl der Delicatessen nehmen die gesalzenen jungen Hühner ein, schmackhaft gebratene Enten,
Fische mit süsser Sauce, Haifischflossen in Hühnersuppe, lange Zeit abgelagerte Taubeneier und
in heissem Wasser aufgelöste halbdurchsichtige Schwalbennester, die aus Vogelspeichel bestehen,
der von Schwalben abgesondert wird, die sich von verschiedenen saftigen tropischen Algen
nähren. Diese Nester werden sorgfältig von den Federn gereinigt und dann abgekocht, bis sie
zart nephritfarben werden. Das nahrhafte Gericht wird von den Chinesen mit Gold aufgewogen,
da die Erbeutung der Nester, die hauptsächlich von Malaien in den Südosttheilen des Indischen
Oceans ausgeführt wird, mit grösser Lebensgefahr verknüpft und sehr mühselig ist Die sich damit
abgebenden Wagehälse klimmen über der zischenden Brandung weg an steilen Felsenwänden
entlang zu kleinen Höhlen, in denen die armen Vögel ihre Nester bauen, und lassen sich in die
stockfinstern Strandhöhlen hinabgleiten.
Muster chinesischer Leckereien werden heute bei Li-hang-tschang zum Nachtisch
herumgereicht, trotzdem das Frühstück zur Häifte nach europäischem Geschmack servirt worden
war. Neben unsere Bestecke sind elfenbeinerne Essstäbchen gelegt worden. Der hochbetagte
Generalgouverneur bewirthet Ihre. Hoheiten mit ausgesuchter orientalischer Höflichkeit Der
typische Bruder des berühmten Kanzlers des Himmlischen Reiches besitzt Würde und zugleich
so viel Feinsinn, sich zuvorkommend zu erweisen, dass man der chinesischen Etikette und Taktsicherheit
nur Beifall zollen kann. Uebrigens kommen bei dem Vicekönig von Kanton wol auch
besondere Rassenzüge zur Geltung. Seine ganze Familie, die rein chinesischen, nicht mandschurischen
Ursprungs ist, zeichnet sich durch hervorragende Begabung aus. Wiewol aus
niedrigem Stande, stiegen ihre Mitglieder durch eigene Kraft zu den höchsten Staatsämtern empor.
Der Tradition entsprechend wurde die greise Mutter, die ihre Söhne so vortrefflich zu leiten verstanden
hat, in den Augen des Volkes den würdigsten Frauen Chinas gleichgestellt.
Als Li-hang-tschang noch Regent der Provinz Hupeh war und am Jangtsekiang weilte,
besuchte ihn die bekannte Expedition des Grafen Bela Szechenyi; er soll dieser, nach Kreitner’s
Bericht, seine feindseligen Gefühle gegen Russland ausgedrückt haben. Wenn dem so war, darf
es uns heute zu um so grösserm Vergnügen gereichen, zu sehen, wie der alte Herr mit beiden
Händen den Pokal ergreift, um die Gesundheit Seiner Majestät unsers Kaisers auszubringen. Der
TIBETANISCHER MARKT.
Titel desselben lautet auf chinesisch laut den Verträgen der beiden Reiche „heiliger Herrscher und
Gebieter“ und stimmt mit der ehrfurchtsvollen Benennung des Bogdychan überein.
Die weitern Toaste gelten der dauerhaften Freundschaft Russlands und Chinas, dem
Blühen und Gedeihen der b'eiden Riesenstaaten; der letzte Trinkspruch wird zu Ehren des Prinzen
Georg auf das dem fernen Ostasien unbekannte kleine Griechenland und seinen König ausgebracht.
Der Grossfürst-Thronfolger antwortet mit einem Toast auf Seine Majestät den Bogdychan
und das Wohl des Himmlischen Reiches.
Mittwoch, 8. April.
Gestern Abend wohnten wir in Begleitung des Herrn Imbault-Huart auf dem Frankreich
gehörigen, noch unbebauten Gebiete der Insel Schamin der Vorstellung des hier gerade gastirenden
japanischen Circus bei. Er weist bemerkenswerthe Leistungen auf. Besonders zwei anmuthige
Mädchen zeigen sich in ihrer Kunst nicht schlechter als Gymnastikerinnen und Aequilibristinnen des
Abendlandes.
Heute Vormittag gehen Ihre Hoheiten zu Fuss durch das Europäerviertel in die Chinesenstadt.
Sie besuchen hier die ersten Kaufläden, wo man uns mit gelbem Thee bewirthet und uns
mannichfaltige kostbare Waaren zeigt. Darunter spielen die feinen Emailarbeiten (émaux cloisonnés)
mit ganz arabischer Ornamentirung, ferner buntgemusterte Seidenstoffe und Porzellansachen die
Hauptrolle. Die gesetzten einheimischen Kaufleute in ihren blauen Ueberröcken und weissen Kopf