
Nur flüchtig sind von weitem die sich von den kläglichen Sampanen scharf unterscheidenden
„Blumenboote“ zu sehen. Reich ausgestattet, sind sie mit Möbeln aus Ebenholz eingerichtet,
mit gestickten Vorhängen behängen und mit Spiegeln und Lampen versehen. Dort amusirt sich
abends die wohlhabende Bevölkerung Kantons; dordfin laden die Reichen ihre Gäste ein, um in
Gesellschaft von Sängerinnen Tafelfreuden und Concerte zu geniessen.
Eine Reihe von Palankinen, voran der für den Grossfürsten bestimmte, der oben mit einer
goldeneh knopfähnlichen Kugel geschmückt ist, harrt unser wenige Schritte vom Strome. Für das
Gefolge werden Mandarinensänften von grüner Farbe bereit gehalten.
Im Augenblicke der Ankunft des hohen
Besuchers eilt Li-hang-tschang unter dem
Klange der Gongs nach dem Quai. Der
Eindruck wird sowol uns, die wir an dem
bedeutungsvollen Gange zum Frühstück theil—
nehmen, als auch den Einwohnern von Kanton,
die in Scharen herbeigeeilt sind, unauslöschlich
im Gedächtniss haften.
Der Zug nimmt in gebrochener Linie
eine beträchtliche Länge ein.. Der Weg führt
nicht durch Strassen im abendländischen
Sinne, sondern durch echt orientalische enge
Gassen und Winkel. Hier dringt die Musik
mit ihren Fanfaren siegreich durch, dort verliert
sie sich infolge des Zickzackganges, den
unser Zug oft einschlagen muss, schon in
der Mitte des Zuges. Die Sänftenträger
schreiten bald rasch vorwärts, um die hinter
ihnen gehenden chinesischen Beamten und
Musikanten und die aus Eingeborenen bestehende
Schutzmannschaft nicht aufzuhalten,
bald wieder schleppen sie unsere zu beiden
Seiten mit Fensterchen versehenen Sänften
I mühsam vorwärts.
Was wir auf dem Wege sehen, eignet
.m o n g o l i s c h ™ ..w iF .D E iiü E BO K EN E n -. w* " « m Schüderung. Hier herrsche
nicht die malerische Verwahrlostheit des
s muhammedanischen Orients, hier trägt nichts
das Gepräge der Tropenländer, wo alles von der üppigen Natur und der strahlenden Sonne verschönt
wird. Wir stehen mitten in dem durch strengen Formenzwang gebundenen Leben
und Weben eines raffinirt civilisirten-Volkes, das' eine Vergangenheit von mehreren tausend
Jahren hinter sich hat Der Stempel einer altehrwürdigen Cultur liegt hier auf jedem Gej-
:sicht, auf jedem Gegenstand in der Runde. Wir belegen uns nicht durch eine Stadt mit
.Tausenden feindlich gestimmter Einwohner, sondern durch'eine gutmüthig erstaunte Volksmenge,
die behend Platz macht. Die einheimischen Behörden haben ihr die Wahrheit über den 'nor1-
dischen Gast mitgetheilt und über die Beziehungen zwischen Russland und China, sowie über
die' Nöthwendigkeit,"gerade "der 'westeuropäischen Welt deutlich zu zeigen, wen die Regierung
des Himmlischen Reiches aufrichtig'hpchzuachten eversteht' Die Stunden, die der Thronfolger
dem Besuche Kantons gewidmet hat, werden mit Flammenschrift in die Geschichtstafeln Ostasiens
eingetragen werden.
Wagen gibt es hierzulande nicht: selbst in dem gut angelegten Hongkong bedient sich
beinahe niemand eines Pferdegespanns. Man zieht es vor, sich mit den Muskeln der armen Kulis
zu begnügen. Und nun gar in der ehggebauten Residenzstadt am Perlenstrom! Kein Fuhrwerk
wäre im Stande, sich durch das Wirrsal von Menschen und Gebäuden hindurchzuarbeiten.
Das Strassenpflaster besteht aus Granitfliesen, die mit breiten Rinnen für den Abfluss des
Regens und des Unraths versehen sind. Rechts und links befinden sich niedrige Backsteinhäuser;
der Raum zwischen ihnen ist mit Matten oder Glastafeln gedeckt,
sodass eine Art von Passagen entsteht Von den bunten
Schildern über dem Eingang in die Läden hängt keins. wagerecht,
alle baumeln sammt den Laternen, die grellfarbige
Schmetterlinge, Vögel oder Landschaften darstellen, senkrecht
herunter. Im Hintergründe der Kaufläden erheben sich kleine
Altäre mit vergoldeten Figuren. Mit der in den Benennungen
der Läden sich kundgebenden Erfindungsgabe können höchstens
die Namen der Winkelgässchen concurriren, die von den Bürgern
ruhmrednerisch genannt werden: „Friedenstrasse“ , „Strasse der
hellen Wolken“ ,*/ „Strasse des langen Lebensffe„Strasse der
ewigen Liebe“ , „Strasse der tausend Enkel“ , „Strasse der
lauen Lüfte“ , „Strasse der zehntausend Glückseligkeiten“ ,
„Strasse des ausruhenden Drachen“ , „Strasse der goldenen
Vortheile“ u. s. w.
Wir treten aus dem Labyrinth der finstern Bazare und
der kläglich aussehenden Wohnräume heraus. Vor uns erhebt
sich ein von chinesischen Soldaten bewachtes Thor eines Ge-
bäudecomplexes, in welchen Ihre Hoheiten vom Generalgouver-
neur zu einem Diner eingeladen worden' sind. Die Menge
um uns 'herum betrachtet mit steigender Neugierde unsere
Matrosen, besonders aber einen in malerische, scharlachrothe
Tscherkessenuniform gekleideten Kosakenunteroffizier. Eine
Masse von Zuschauern ist sogar im Begriff, sich hinter den
Palankinen in den Hofraum durchzudrängen, auf Befehl des
umsichtigen Vicekönigs wird jedoch der Zugang dicht ver- Ka lm ü c k e n - l a m a .
schlossen. Und damit nicht etwa unanständige Leute es sich
einfallen lassen, die Mauern zu überklettern und die Gäste zu belästigen, wurden die Mauern
mit Theer eingeschmiert. Es bedurfte blos des Versuchs von ein paar dreisten Kerlen, die sich
dabei die Kleider verdarben, um die Uebrigen zur Vernunft zu bringen.
Wie uns erzählt wird, dient das zu unserm Empfang benutzte Gesellschaftshaus alle drei
Jahre einmal als Sammelpunkt für. die aus der Provinz zu den grossen Examina Herbeiströmenden.
Es gibt keinen ändern Staat, wo das Wissen so hoch geschätzt und heilig gehalten würde wie
in China. Es braucht nur daran erinnert zu werden, dass Confucius allmählich nach dem Tode
in den Fürstenrang erhoben wurde, dass man ihm für sein durchdringendes Studium und Ver-
ständniss der vaterländischen Wissenschaft Tempel errichtet und dass ganze Regierungsbezirke
Orientreise. II. 7,