
männlichen Blutsverwandten von Zeit zu Zeit, um zu beratfachlagen, um Streitigkeiten beizule«en
über unehrerbietige Schwiegertochter Gericht zu halten, Ehescheidungen zu vollziehen, zur Theüung
des Vermögens u. s. w. Untreue Frauen werden nach dem Gesetze schonungslos:1 Von dein von
ihnen entweihten Herde vertrieben; Gatten, die sich deren Bestrafung widersetzen, erhalten Bambushiebe.
Diese Famihengerichtshöfe wirken viel einschneidender und sind weitaus praktischer als
Kegierungsmaassnahmen und öffentliche Strafbestimmungen.
Durch ihre unsichtbare Gegenwart die Thatkraft und Besonnenheit der. Lebenden stärkend,
blicken von den Wänden eines Familientempels
die Bildnisse besonders geachteter
Verstorbener, während von der
Zimmerdecke herunter senkrechte Inschriften
in Goldpapier auf rothem Grund
hängen, welche die Verdienste aufzählen,
die sich die würdigsten Familienglieder
in der Literatur oder im Staatsdienste
erworben haben. Gerade gegenüber dem
Eingänge zeigt der uns in die Kapelle
begleitende Chofkwa Ihren Hoheiten das
Porträtbrustbild seiner unlängst dahingeschiedenen,
bitter beweinten alten Mutter.
Solche Cultusgegenstände, in denen nach
dem uralten Glauben der Chinesen die
Geister der Verstorbenen, gern Wohnung
nehmen, werden in allen wohleingerichteten
Häusern gehalten. Wenn die
Künstler die Bestellung des Porträts einer
noch zu ihren Lebzeiten von der jüngern
Generation verehrten Person aüsführen,
sind sie ängstlichst bemüht, die Aehn-
lichkeit des Bildnisses mit dem Original
zu erreichen. Sie malen jede
Person ausnahmslos en face. Ein
solches Bild wird bei der Beerdigung
feierlich dem Zuge vorangetragen und
nimmt erst dann seinen Platz im Familientempel
ein.
LAMASEREI. (Nach einem grossen Gemälde aus Lhassa.)
~ ; ujuicuieinpei em.
1 I IM H Llebensw“ rdigkeit des französischen Consuls bin ich im Stande, hier Einiges von
Interesse über Kanton zusammenzustellen.
Das einst ■ wichtige Handelscentrum am Perlenstrom verliert seine frühere Bedeutung und
tritt sie an Hongkong ab. Die Engländer fangen an, über Kanton in dessen eigentlicher Sphäre
naCh Angaben die Ein- ™ d Ausfuhr bisjetzt noch immer
200 Millionen Mark. Die Europäer, die auf der Insel Schamin leben, äussern sich über den Umsatz
C gerade rubmend> da derselbe jährlich mehr und mehr der Stadt Victoria zufällt. In erster Linie
m m H 9 h * e B B von Seide ™ d Thee aus dem benachbarten Delta stellen. Dort
ngt sich m der Richtung nach Makao inmitten eines Labyrinthes von Wasseradern auf einem kleinen
Räume die arbeitsamste Bevölkerung zusammen, die-massenhaft vortreffliche Rohseide producirt
Wenn man bedenkt, dass die Seide als Handelsgegenständ seit unvordenklichen Zeiten sich
als das Bindeglied erwiesen hat, das China mit Indien und Kleinasien sowie mit halbbarbarischen
Nachbarvölkern in Verbindung setzte, dann wird die Empfindling “der Chinesen verständlich, die
in der Seidenraupe etwas .Wunderbares erblicken. Die aus diesen Thierchen gewonnenen Fäden,
die z.B. im alten Rom mit Gold äufgewogen wurden, dienten geradezu als mystische Bande der
gegenseitigen Kenntniss für die durch ungeheuere Räume voneinander getrennten, weltgeschichtlich
hervorragenden Nationengruppen und Staaten des Alterthüms. Die mit dem Vertrieb der Seide
nach dem Abendlande beschäftigte Bevölkerung des Himmlischen Reiches zu Anfang unserer Zeitrechnung
hatte allerdings nur eine nebelhafte Vorstellung von dem Wege ins Abendland, besonders
von-dem Landwege, der zum Oxus, ins Land der Parther nach Merw (chinesisch Mulü) u. s. w. bis zum
Schwarzen Meer und nach Antiocliia in Syrien
führte. Die Völker des- antiken Orients verhielten
sich damals allerwärts trotz . der durch
die ' historischen Verhältnisse gegebenen Abgeschlossenheit
mancher Lebensformen gastfreundlich
und entgegenkommend einander gegenüber.
Wie viele schöpferische Ideen mögen die chinesischen
Pilger -Kaufleute, \ die damals an den
Ganges zogen, oder die christlichen Mönche,
die Byzanz mit der Seidenraupe beschenkten,
von ihrer Reise mit nach Hause gebracht haben!
In China hat sich in diesem Jahrhundert
.ebenso . .wie in Europa, und Japan eine Krankheit
der Seidenraupe eingestellt. Aber während die
Japaner sie sofort localisirten, stehen die Unter-
thanen des Bogdychan. der Calamität ohnmächtig
und hülflos gegenüber und büssen infolge dieser
Rathlosigkeit einen grossen Theil des Gewinnes
ein, vfiewol die japanische Seide der chinesischen
nachsteht.
Die hiesigen Behörden müssen ihre Auf-
. . . ° ! g r M M TIBETANISCHER WAHRSAGER UND ARZT MIT SCHÜLERN, merksamkeit ganz besonders auf die Gefahr
lenken, die dem .werthvollsten Gewerbe des
Landes droht. Aus dem Reiche werden jährlich an Seidenraupen und Seidenstoffen für etwa
150 Millionen Mark ausgeführt,: und nur der Theehandel steht höher. Dagegen ist der Werth
aller übrigen Exportwaaren zusammengenommen ein niedrigerer j da er nur gegen iöo Millionen
Mark ausmacht. •
Die Provinz Kwang-Tung producirt viel Getreide, Reis -und Zuckerrohr,--Indessen genügt
die Gesammtheit des Ertrages kaum für die Bedürfnisse :'der -EihgeborerienV Die hiesigen Chinesen
fabriciren für den Export nach England Fruchtconserveri; :-äin Meisten''rühmt-män-die in Zucker
oder Essig eingemachte Ingwerwurzel, ferner Ananas, Bambüssprössen ü."s. wV •
In grösser Achtung steht am Perlenstrome die PorzeUänmälerei; Leider geräth diese Kunst
in letzter Zeit in Verfall, da die Künstler einige Geheimnisse dfef-iFarbenmischung verloren haben.
Antiquitätenliebhaber finden in Kanton reichliche Gelegeriheit, eine Fülle von Raritäten aufzutreiben,
für welche .es bei den Kennern im Abendlande' keine zu hohen Preise gibt " Man findet
solche Merkwürdigkeiten am leichtesten in den thurmartigen Pfandhäusern.
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