
. . . Bevor der Vicekönig selbst erscheint,
wird nach der Etikette, seine lange und breite
Visitenkarte von rother Farbe auf den „Kiang-
Kwan“ vorausgesandt. Alsdann nähert sich der
durch Musik angekündigte Festzug. In den Augen
eines von Kindesbeinen an durch eine operetten-
hafte Anschauung der Dinge ironisch gestimmten
Europäers scheint das Aeussere eines chinesischen
officiellen Festzuges allerdings an einem Mangel an
Ernst stark zu leiden. Die Leibwächter z. B. tragen
ausser ihren Waffen noch Sonnenschirme und
Fächer, ja sogar Inschriften auf dem Rücken zur
Verherrlichung ihrer kriegerischen Tapferkeit.
Li-hang-tschang trägt ein gesticktes seidenes
Galakleid und schwarze Atlasschuhe mit hohen
Sohlen, mit dem wichtigsten Zeichen seiner
hohen Würde: einer rothen Kugel auf seiner
Mütze. Bei seinem Gange zum Dampfer stützt
ihn sein Gefolge behutsam. Der greise Mandarin
begibt sich dorthin in Begleitung des Finanzverwalters
der Provinz, oder wie ihn die Engländer
betiteln: „provincial treasurer“ . Hinter dem
Vicekönig folgt ein ganzer Stab von Untere
beamten verschiedener Rangstufen.
Nach dem kurzen Besuche, während dessen
unsern Gästen Wein und Süssigkeiten gereicht
wurden, dampft der „Kiang-Kwan“ wieder stromaufwärts
unter den sympathischen Beifallsrufen
des Volkes und ankert an der Insel Schamin,
die den Europäern seit dreissig Jahren als vollständig
eigenes, abgesondertes Stadtviertel dient.
Zwei Steinbrücken verbinden es mit der Stadt.
Sie werden zur Nachtzeit besonders bewacht,
damit keine Verbrecher eindringen. Das Verbot,
während dieser Stunden über die Brücken zu
gehen, wird auch auf die Ausländer angewendet.
SCH U T ZGO T T (nach ¡einer chinesischen Zeichnung). Durch ähnliche Maassregeln wurden noch im
1.6. Jahrhundert die Portugiesen zu Makao von
den Landesbehörden beschützt
Vor dem Diner fahren Ihre Hoheiten incognito in einem Boot nach dem südlichen Vorort
der Stadt, der Insel Honam, um dort das buddhistische Kloster Hai-chwang-sze („Banner des
Oceans“ ) zu besuchen. Es soll ziemlich alt sein, doch wurde es erst seit der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts mehr bekannt, als seine Mönche das Volk vor der Rache der mit Feuer
und Schwert sich des Thrones bemächtigenden Mandschu nach Kräften zu bewahren suchten.
Vom schmutzigen Landungsplätze begeben wir uns zu einem unansehnlichen, engen Thore
dicht daneben, hinter welchem sich ein mit hohen Mauern umgebener länglicher Hof öffnet. Zu
beiden Seiten des sich durch denselben hinziehenden, glattgepflasterten Steinweges sind immergrüne,
dichtverzweigte Banianenbäume gepflanzt. Wohlthuende Stille weht dem die Schwelle zum
„Hause Buddhas“ Ueberschreitenden zum Willkomm entgegen.
Schon in den Nischen hinter den Eisengittern am Eingänge fesseln- zwei grell angestrichene
Thonfiguren von imponirender Grösse, die Aufmerksamkeit des Besuchers. Es sind „chinesische
Generale“ , die die Tempel davor behüten, dass unreine Mächte in sie eindringen und die zugleich
allen Vorübergehenden die Gefühle der Ehrfurcht vor den Heiligthümern einzuflösseii berufen sind.
Unter der Eingangshalle zur Seite sollen, erzählt man, leere Särge stehen, wie solche von
den wohlhabenden Bürgern für die ältesten Familienmitglieder im voraus bestellt werden. Derartige
Beweise kindlicher Ehrfurcht werden den Eltern gewöhnlich zum Geburtstage därgebracht, wenn
sie anfangen, vom Alter gebeugt zu werden. diese bedeutungsvollen Memento mori nicht zu
Hause aufbewahren zu müssen,
übergeben manche sie einem
Tempel. . Weiterhin blinken
weisse Inschriften, die die grosse
Bedeutung des Gebotes „Ehre
Vater und Mutter!“ predigen.
Längs den Wänden einer
ändern Säulenhalle erblicken wir
vier riesige Darstellungen der
„diamantenen himmlischen Maharadschas“
, nämlich der Heerführer
überirdischer Wesen.
Einer derselben (von grüner
Farbe) hält in der Hand ein
Schwert. Dieser Geist, der
Schutzpatron der Länder des
Ostens, herrscht über dem
schwarzen Haufen der blitz—
schwängern Stürme. Ein anderer,
der „rothgesichtige“ , hält eine
Laute, zur Bezauberung und
Fesselung der Elemente. Er selbst erscheint als eine Verkörperung des Feuers und gilt als der
Gebieter des Südens.
Der den Westen beschattende dritte mit dem weissen Angesicht hält einen perlenbesetzten
Schirm. Ist der mächtige Genius guter Laune, so lässt er zur nöthigen Zeit Regen niederströmen,
zürnt er, dann wird Dürre eintreten. Spannt er seinen wunderbaren Baldachin über der Welt aus*
dann bewahrt er die Menschen vor Unheil, macht er ihn zornig zu, dann herrscht alsbald ausser-
gewöhnliche Noth und Trübsal: Finsterniss bricht an, Angst bemächtigt sich der Menschen, das
Chaos dehnt sich aus! . . . Der dunkelfarbige vierte Maharadscha, der Beherrscher des räthselvollen
mitternächtlichen Gebietes, hält in seiner linken Hand ein schlangenartiges Wesen, das sich nach
der Ueberzeugung der Gläubigen in einen unüberwindlichen Drachen zü verwandeln vermag.
Wieviel geheimnissvoller Sinn, welche Poesie liegt doch in diesen Gebilden verborgen, in denen
die Phantasie des Asiaten schon in vorhistorischer Zeit die Zukunft sozusagen vorausgeschaut hat!
Es ist merkwürdig, dass die Chinesinnen, die zur Verehrung der vier mächtigen Götzen
in Menge herbeiströmen, um zu deren Füssen rothe, mit Gebeten für das Wohl ihrer Kinder be