
Bahn niederzureissen und sich erst bei der Erreichung des scheinbar Unmöglichen zu beruhigen,
sich erst mit der Verwirklichung des Unausführbaren befriedigt zu fühlen. In uns Russen verkörpert
sich der active und passive Widerstand des christlichen Abendlandes wider die chaotischen
asiatischen Welten mit ihrer nicht bezweifelbaren Culturvergangenheit, zugleich aber auch mit ihrem
unaufhaltbaren Verfall, der nur die Folge ist des' sich nunmehr einstellenden Mangels an innerer
schöpferischer Arbeit, einer Arbeit, die nur eine mehr active Religion hervorzurufen vermag.
An dem Beispiele Russlands werden die Völker des Orients allmählich *den Werth einer
solchen begreifen lernen, einer Religion, die den Herzen den innern Frieden gibt, in nicht
geringerm Grade als der Buddhismus den Hang zur Empörung einschläfert, und die den Menschen
mit jenem Morgenroth der Lebensfreude durchdringt, das ihn von innén herausCzu einem völlig
neuen Wesen umwandelt. Von alledem ist in dem leidvollen Cultus des „weisen Fürstensohnes“ ,
in dem engen Rationalismus des Confucius, in dem trockenen Abglanz der monotheistischen
Wahrheiten des Islam nichts zu entdecken, oder, richtiger gesagt, alles das tritt in jenen Religionen
viel zu wenjg in Thätigkeit Das ist die Lösung des Räthsels, wie und warum es uns in diesem
geschichtlich einzig dastehenden Maasse gelungen ist, uns in Asien Reich um Reich zu unterwerfen,
nicht allein durch Waffengewalt, sondern auch durch den Geist der Milde, nicht allein in
der offenen Feldschlacht und durch kriegerische Tapferkeit, sondern auch durch die geheime Kraft
freundschaftlicher Gefühle, 'durch das unausrottbare Bedürfniss, das uns beseelt, dort in jedem
vernünftigen Wesen, jeder Religion und jeder Rasse einen vor Gott und dem Zaren gleich- und
vollberechtigten Freund und Bruder zu erblicken.
Die Uebergangsstufe zwischen uns und den Chinesen, die Mongolen, haben sich aus voller
Ueberzeugung und unauslöschbar diese Ansicht über Russland und seine Selbstherrscher angeeignet,
in welchen sie die Verkörperung der gnaden vollen Zagan-Dara-Eche, einer der glänzenden Offenbarungsformen
Buddha’s, selbst erblicken. Die Tibetaner, die sehr enge Verbindungen mit unsern
Burjaten unterhalten, fühlen 'sich mehr und mehr in tiefster Seele von denselben Gedanken durchdrungen.
Die übrigen Unterthanen des Bogdychan sind eine träge Massé, die. sich vor allem
wohlfühlt in ihrer ungestörten Ruhe, sich behagen lässt an ihren Ersparnissen, aufgeht in der Lust
an ihrem Heimatboden, unter welchem die Gebeine der Väter liegen. Diese Masse bedarf einer Regierung,
die in sich selbst das Gesetz repräsentirt und dem Gesetze Achtung verschafft. Sie wünscht
eine bürgerliche Lebensordnung, unter welcher der Handwerker und der Bauer friedlich ihren Beschäftigungen
nachgehen können, sodass sie nicht unter der Last kriegerischer Anforderungen zu*-
leiden haben. Kann das künstlich herbeigeführte Erwachen des Himmlischen Reiches, das diesen
Staat in den furchtbarsten Strudel der Weltereignisse stürzt, seinen Söhnen die Erfüllung jeher
idyllischen Ideale gewährleisten? Wird nicht die abendländische Cultur, indem sie diese Menschen
aller sie zügelnden Bande der Tradition entledigt, die lähmende Kälte grausamer Zwietracht und
Sorge in das Herz des autochthonen Chinesen senken, eines Menschen, der im Laufe der Jahrtausende
dem blos materiellen Fortschritt fremd geblieben ist?
HONGKONG UND KANTON.
Sonnabend, 4. April.
S e i t Saigon haben wir annähernd 900 Seemeilen .zurückgelegt. Diese Ziffer spricht eine
noch beredtere Sprache, wenn man weiss, dass uns von Bangkok 1454, von Wladiwostok auf
directem Wege aber nur noch 1670 Meilen trennen, abgesehen von den Fahrten den Bläuen Fluss
hinauf und nach Japan.
Wie nahe sind wir der Heimat! Die Luft ist beträchtlich frischer geworden. Unsere
Tropenkleidung erscheint ab und zu schon recht zweckwidrig. Die nordische Luft verursacht
manchmal ein leichtes Frösteln und lässt uns wieder ordentlich aufleben, nachdem wir sehr lange
in der heissen Zone verweilt haben, unter Verhältnissen, die erschlaffend wirken mussten, da sie uns
die bei dem dortigen Klima für Europäer unbedingt erforderliche Erholung während des Tages nicht
zu gewähren vermochten.
Infolge des trüben Morgenhimmels bietet die Annäherung an die Insel Hongkong kein
ästhetisches Interesse. Die felsigen, gelbgrauen Ufer des ziemlich engen Kanals, in den wir ein-
laufen, sind öde und düster. Von der Stadt Victoria selbst ist noch nichts zu sehen, aber schon
von ferne gewahrt man den Rauch der Fabriken emporsteigen. Die die Stadt umgebenden Berge,
von deren höchster Spitze die britische Flagge weht und von wo aus jeder am Horizont auftauchende
Dampfer mit einem Kanonenschuss angezeigt wird, sind vorläufig vor Nebel nicht zu unterscheiden.
Das ganze Panorama ringsum stimmt bei der trüben Beleuchtung vortrefflich zu der Thatsache,
dass diese Gegend seit alten Zeiten den Piraten zum Schlupfwinkel gedient hat und noch
immer dient.
Die südchinesischen Gewässer sind von alters , her durch ihre Piratenflotten berüchtigt. In
frühem Zeiten waren räuberische Ueberfälle an der Tagesordnung, und es kostete die Europäer grossen
Kraftaufwand, das Uebel nur einigermaassen zu bekämpfen. Aber auch heute ist das Meer um
Hongkong vor Seeräubern noch nicht ganz sicher. Die Fälle sind nicht so selten, dass die
Piraten als einfache Passagiere einen Dampfer besteigen und dann unterwegs urplötzlich einen
Orientreise. II. • „ °4