
(ein solcher Ehrensessel wird in annamitischen Tempeln gewöhnlich den Gottheiten der Sterne geweiht),
ferner eine ganz unglaublich hässliche riesige Figur aus Holz, den Schutzgeist der Jagd darstellend.
Das Scheusal ist gestreift, der Leib etwas zurückgeneigt, der Rücken und der Wanst mit
Raubthierfellen, ein Fuss mit Elefantenhaut, der andere mit der Haut eines Nashorns überzogen,
die Tatzen sind mit Krallen verschiedener Gattung versehen, die abstossend hässliche, rothe Fratze
ist mit zwei Paaren übernatürlicher Hörner gekrönt, der greuliche Rachen klafft mit fletschenden
Zähnen, obendrein starren, aus ihm Hauer hervor.. . . Die Figur, ein Nonplusultra von Unge-
schlachtheit und bizarrer Einbildungskraft, stützt sich auf eine kolossale Lanze. Unter dem aus
Raubthierfell gemachten Mantel ragt noch der Schwanz mit einer Blume am Ende hervor.
In ihrer Art interessant sind auch die Eingeborenen, die zur Bewillkommnung auf die Fregatte
gekommen sind. Ueber der Stirn der geputzten Bonzen, die in Cochinchina „luc-sang“ ,
die Herren Priester, heissen, erhebt sich eine Tiara (Mu); das gelbe gemusterte Gewand hat zum
Unterschiede von der Tracht der Laien weite lange Aermel und wird nicht geschlossen. Die
alten Herren, die die Reise mitmachen, blicken mit dem den
buddhistischen Geistlichen (der Buddhismus ist innerhalb des
französischen Indochina mächtiger als der Confucianismus und
Taoismus) eigenthümlichen Ausdruck der Andacht und Ehrfurcht
auf den ihnen entgegengetretenen Grossfürsten.
Nach der uralten, mit heiliger Scheu aufrecht erhaltenen
Sitte werfen sich die Eingeborenen viermal vor Seiner Kaiserlichen
Hoheit aufs Angesicht. Sie falten dabei die Hände und
heben sie zur Stirne empor, und wie sie sich allmählich auf die
Knie niederlassen, so stehen sie auch allmählich wieder auf,
worauf sie dann mit Würde den ceremoniellen Gruss nochmals
verrichten gemäss den Regeln der orientalischen Etikette, nach
welcher auch der Herrscher von Annam den Himmel anbeten
soll
Die zur Bewillkommnung angelangten Abgeordneten haben
a n n a m it is c h e r t h r o n s e s s e l . schwarze Zähne, wie wir sie überall, wohin wir nach dem Besuche
von Singapur kamen, beobachten konnten. Bei den Anna-
miten rührt diese Erscheinung aber nicht vom Betelkauen her, sondern von einem eigenen,, der
Verschönerung dienenden MitteL „Wir sind keine Hunde“ , sagen sie, „um wie diese weisse Zähne
zu haben.“ Ausserdem aber wird dieses Mittel angewendet, um die Zähne vor Verfall zu
schützen. Zu diesem Zweck führen sie die Mischung einer scharfen, sauren Substanz mit Honig
und gepulverten Bananenblättern in den Mund.
Die gutmüthigen Gesichter der Bonzen legen beredtes Zeugniss ab für die Friedfertigkeit
der von ihnen vertretenen Weltanschauung. Diese Menschen wissen nichts von Fanatismus. Die
blutigen Seiten in den Annalen dieses Landes rühren meistens von der malaiisch-muhammeda-
nischen Bevölkerung her. Gegen das Christenthum hat die buddhistische Priesterschaft Cochin-
chinas von sich, aus nie das Feuer geschürt. Alle Verfolgungen gingen stets unmittelbar von der
Regierung aus, und zwar aus Misstrauen gegen die aus dem gefährlichen Abendlande angelangten
Missionare. Sowol in Siam als hier war es den Dienern Buddhas unter Androhung harter Strafe
verboten, die fremde '„überseeische“ Religion zu verlästern und das Volk irgendwie gegen sie
aufzustacheln.
Vor unserer Abreise versieht mich der Generalsecretär Fouräs in liebenswürdigster, aufmerksamster
Weise mit den nothwendigsten Berichten, Büchern und Schriften über die französischen
Besitzungen in jenen Erdstrichen. Unter der Fülle der Druckschriften ragen an Werth
hervor die sorgfältig herausgegebenen Forschungen archäologischen Inhalts, Mittheilungen über
die künstlerischen und religiösen Seiten des frühem. Culturlebens dieses Landes, Untersuchungen
über die Geschichte dieser Gegenden, als noch Schiwa und Wischnu über sie herrschten. Mehr
als einmal géschah es, dass Malaien und Javaner unter brahmanischen Königen Einfälle in den
Norden Indochinas machten. Selbst die dortigen Herrscher, deren Hände nach dem bildlichen
Ausdruck der Chronik sonnengleich das chinesische Heer versengten, waren .wahrscheinlich selbst
Abkömmlinge derselben waghalsigen Rasse der braunen Südseeinsulaner. Die wissenschaftliche
Beleuchtung all der über die damalige bedeutungsreiche Epoche vorhandenen Thatsachen ist von.
höchstem Interesse und wird hoffentlich die dankbare Aufgabe einer nicht fernen Zukunft bilden
Vier Uhr nachmittags. Wir verlassen Saigon. Unsere Blicke ruhen zum letzten mal auf
den Gebäuden des Klein-Paris von Hinterindien, jener Stadt, in welcher wir in so kurzer Frist ein
so reiches Maags von Gastfreundschaft und herzlicher Aeusserung kameradschaftlicher Gefühle genossen
haben. In dichten Scharen eilen noch Zuschauer herbei, die sich von dem zur Abfahrt
gerüsteten russischen Geschwader verabschieden wollen.
Plumpe Boote versperren uns den Weg, um eiligst zum Ufergelände zu entschlüpfen.
Zierliche Weiberhände mit Armbändern aus billigstem Bernstein oder aus Steinkohle führen'das Ruder.
Unter blauen Baumwollbinden und flachgipfeligen Reisstrohhüten sieht man die typischen Gesichtszüge
der plattnasigen, dunkeläugigen Männer mit rothen, von Kautaback geschwollenen Lippen, in
langen Kalikohemden mit Kragen.
Sehr eigentümlich ist bei diesen Leuten die Leidenschaft, Sonnenschirme zu tragen. _ Noch
nicht gar lange her galten hier solche als Attribut der Macht und Privilegien: der höherri Beamtenwelt,
heutzutage aber hat jeder das Recht, solche nach Belieben zu tragen, was dem hiesigen
Volke in seiner Einfalt überaus zusagt. Gleich der Mehrzahl der von der abendländischen Civili—
sation unberührten Asiaten zeichnet es sich durch eine kindlich naive Weltanschauung aus.
. . . Die Reise tritt in ein neues, ausserordentlich interessantes Stadium. In weniger als
einer Woche eröffnet sich uns China. Bisjetzt hatten wir eine uns verhältnissmässig fremde Welt
vor Augen, die Russland in politischer Beziehung augenblicklich nur abstract berührt.. . . Mit der
Annäherung an das Grenzgebiet des Himmlischen Reiches verändert sich der Gesichtspunkt.
Beim Besuche Griechenlands athmete unsere Seele hauptsächlich auf über der göttlichen
Schönheit der Ueberreste der antiken Kunst. An jenem Tage, als der russische Name auf dem
Nile gefeiert wurde, sprach sich laut und siegreich der Protest des griechischen, koptischen und
arabisch-fellachischen Orients sowie des mit glorreichen Traditionen verknüpften französischen
Elements aus gegen den rücksichtslosen angelsächsischen Egoismus und dessen Sucht, über schwächere
Völker den Herrn und Meister zu spielen.
Indien gewährte uns bezaubernde Gemälde innerer Harmonie, insofern letztere bisher noch
ganz geblieben ist, unerachtet der es in der Gegenwart schwer bedrückenden Lebensbedingungen.
Seine geistige Verwandtschaft mit uns, eine gewisse Gemeinschaft und Uebereinstimmung unserer
historischen Schicksale, die Zukunft des unglücklichen Landes, alles das führte auf Schritt und
Tritt zum Nachdenken. Die Bekanntschaft, die wir mit der malaiischen und siamesischen Welt
schlossen, bereicherte uns mit blendendschönen Eindrücken und unerwartet fruchtbaren Begriffen
von der Lebenskraft dieser Länder.