
K A L K U T T A .
Montag, 26. Januar *"
D u r c h die in tropischer Fülle strotzenden Niederungen Bengalens stiebt der.grossfürstüche.
Eisenbahnzug der HanptsttdtiBrilisA-Indisns.^K; 'Wir eilen an bläulich schillernden Reisfeldern,
an Palmenhainen vorbei, werden durch sumpfiges Dickicht, durchzogen von zahlreichen Zuflüssen
und Armen des Ganges, geführt, ohne kaum je mehr' äjsjieine Ansiedelung armseliger Hutten auf
unserm Wege gewahr zu werden. Hier ist die äusserste Grenze d|sJ:Mach-.bercielts alt-arischen
Geistes, den' schon eine chinesisch-malaiische Hülle Umkleidet Hier auf geologisch jungem Boden
merkt man, .dass rdas'Band weit und. breit rdem Oeean äbgeraügeg|H und noch h^It&'gewahrt
man Anzeichen, atv-sei'es erst kürzlich aus den Meeresfluten emporgestiegen, d , y . -
Bengalen bildet gegenwärtig in vielen Beziehungen die Grundlage der mächtigen finanziellen
Stellung Englands in Indien und damit die Basis seiner politischen Herrschaft Dasmordo'ghqÜe Indien
umfasst fast .ebensoviel Einwohner'als das europäische. Russland, tind aus dem vom .StrOmschlamme
befruchteten Gangesthal werden jährlich mehrerd hundert Millionen Mark an Einkünften gezogen.
Und doch war vor circa i j ö —soo Jahren das, englische Element hier: nur sehr bescheiden vertreten,
durch politisch harmlose Händler, denen, die Grossmuth de- muhamu-.edanischeu ISekerrscher des
blühenden Landes den Aufenthalt gestattete. Bombay und Madras erfreuten sich schon einer ziemlichen
Höhe der Entwickelung und konnten sich im Wettbeverbe mit den damals nebän den Eng-
ländernihölonial thätigen Nationen immer kräftiger entfalten, :als Kalkutta noch lange n i|p die ihm.
gebührende Grosse und Stellung erreicht hatte ..I)ie: Mahratten d u r ften ® wagen, di«. damals erst
10—12000 Einwohner zählende Stadt wiederholt mit ihren Streifzügen zu bedrohen, und 1-75.6 war
es dem 'grausamen Nawab Ssuradsch ud Däula, der Bengalen thatsächlich beherrschte, sogar .gelungen,
sich Kalkuttas auf volle, sieben Monate zu bemächtigen. 145 Europäer wurden damals
in eirien engen finstern Raum gesperrt, in dem bis zum ändern Morgen 12? unter fürchterlichen
Qualen erstickten. Und dies geschah nicht fern von der Gangestr.ändung, an der eine « g g s .
päische Nation über' eine ausgezeichnete Flotte mit tüchtigen Streitkräften gebot England hätte
damals seine Ehre wahren können. War es doch den Briten gleichzeitig, gelungen, sieh der Holländer
zu erwehren, obwol diese’- Englisch-Indien mit 7 Kriegsschiffen und 609 Mann verwegener
javanischer Truppen angegriffen hatten. Gegen den gefährlichen Nawab in der nächsten Nähe
scheinen aber nicht genügend Kräfte verfügbar gewesen zu sein. Bald durften es auch die Hindus
von Patna wagen, 148 gefangene Engländer zu erschiessen, während die Angehörigen der ändern
europäischen Nationen solches in Indien hie zu erdulden hatten. Die Engländer waren eben im
Gangesthal wie anderwärts im höchsten Grade unbeliebt Dieses misliche Verhältniss zeigte sich
1770 auf das grellste. Als gewiegte Kaufleute hatten viele Engländer, die Folgen einer herrschenden
Dürre' voraussehend, sämmtlichen vorhandenen Reis aufgekauft, um ihn bei der sicher eintretenden
Hungersnoth zu Wucherpreisen zu verkaufen. Damals kam etwa ein Drittel der Bevölkerung
•des nordöstlichen Indiens vor Hunger um. In Bengalen starb jeden Monat etwa eine Million
Menschen; insgesammt mochten die Opfer an io Millionen betragen. Alle Strassen und Tempel,
selbst die Felder und die Dschungeln wären mit sterbenden Menschen bedeckt Die vielen Leichname
überall verpesteten die Luft, und gefährliche Seuchen entstanden daraus. Edle Frauen, die
nie die Schwelle ihrer Gemächer überschritten-hatten, irrten auf den Marktplätzen umher; um jeden
noch so schimpflichen Preis suchten sie für ihre Kinder einige Brosamen zu erhaschen. Sanft-
müthig ertrugen die Hindus die Hungerqualen, stumm hauchten sie die letzten Seufzer aus, ohne
sich wider ihre Peiniger zu erheben." In üppigen Villen am Ganges hatten die Ausbeuter sich
niedergelassen, um sich nach einigen Jahren Thätigkeit mit riesigen Vermögen in die Heimat
zuruckzuziehen. Die Fluten des heiligen Stromes wälzten unaufhörlich an diesen Landsitzen Opfer
der Hungersnoth vorbei: was kümmerte es die erfolgreichen Ankömmlinge? Die englische Geschichtschreibung
selbst führt über dieses Raubsystem eine sehr beredte Sprache. Das Parlament
erklärte die englischen Vertreter in Indien der Fahrlässigkeit schuldig, aber kein spätes Mitleid, keine
nachträgliche Entrüstung, kein strenges Urtheil der Geschichte vermochten die grässliche Unthat
gutzumachen. In jedem Staate, bei jedem Volke sind entsetzliche Misstände denkbar; die Selbstsucht
plutokratischer Elemente kann sie-überall hervorrufen. Aber diese sind sozusagen eine
innere Staatsangelegenheit, deren Folgen Generationen tragen. Wenn aber ein angeblicher Pionier
der Civilisation, noch dazu ein Christ, Massen stiller geduldiger Asiaten gegenüber mit unmenschlicher
Grausamkeit auftritt, während diese als wahre Menschen sich bewähren, so beschleichen
einen Zweifel über manche. Folgen, abendländischer Oulturarbeit
Der Name Bengalen kommt vom Sanskritwort „Banga“ ; so nennen die Sagen den Begründer
eines arischen Reichs in der Landschaft. Schon Marco Polo und die arabischen Geographen
sprachen vom Lande Bangala. Auch unter den Moguls Wurde unter diesem Namen das östliche
Gangesthal verstanden, doch erweiterte sich das Gebiet der Provinz durch die Eroberungen der
Muhammedaner jenseit des Brahmaputra. Der Westen hat seit langem schon in Gestalt des Islam
mit Waffengewalt in die benachbarten Gebiete des Himmlischen Reichs, zu Land und zu . Wasser
einzudringen versucht Aber die dazwischen sich ausbreitenden Länder Indochinas waren diesen
-Gelüsten ein kräftiger Damm. Auch heutigentags beseelt das Abendland dieselbe Lust, und seine
Kraft ist grösser als einst, denn früher wurde der Kampf mit gleichen Waffen geführt, jetzt aber
beugen sich allmählich die Bewohner Südostasiens in stummer Anerkennung der Ueberlegenheit
Europas ünter das fremde Joch. '
Bereits im 14. Jahrhundert sehnte sich Sultan Toglak, Wenn auch erfolglos, das Gebiet des
Bogdychan, China, zu überfallen. Unter Aurangzeb hatten seine Feldherren Assam als Angriffspunkt
für einen grossen Feldzug gegen die Hauptländer der gelben Rasse auserseheri. Aber diese entwickelte
damals eine solche Lebenskraft, dass die turko-arischen Völker nicht in das sich hartnäckig
abschliessende Reich der Mitte einzudringeri vermochten. Solange sich Nepal, Bhutan, Sikkim und
Tibet noch völliger Unabhängigkeit erfreuten, war das Herz Asiens von Südwesten her nicht
zugänglich, ja selbst heute noch ist es- für Europäer kaum zu erreichen. Die von den Lamaisten
gleich Göttern verehrten Berge des Himalaya'halten getreu die .Wacht an den Grenzen des arm-
Orientreise. II. 4