
Im 19. Jahrhundert gerieth Kambodscha zum grossen Leidwesen der Siamesen fast ganz
unter die Oberherrschaft Annams. Dort aber begann man sich sogar mit dem Gedanken vertraut
zu machen, selbst Siam zu unterwerfen.
Als die Franzosen Cochinchina eroberten und die an dasselbe stossenden Gebiete unter
ihr Protectorat nahmen, übersahen sie völlig, dass der Zwist des Herrschers am Menam mit
den Annamiten nur den Charakter eines Bruderstreites hatte, und fanden es zweckmässig, die
historisch mehr als bestreitbaren Ansprüche der letztem auf verschiedene Grenzpunkte und sogar
einige reiche Districte des siamesischen Reiches sich anzueignen. Das Recht des Stärkern war
natürlich auf Seite der Europäer und der Invasion. Es ist jedoch noch .die Frage, ob der politische
Blick in die Zukunft nicht, ein radical anderes Verfahren gegen die gegenwärtigen, wenn
auch schwachen Nebenbuhler erfordert hätte. Die indochinesischen Colonien, die Saigon zu
ihrem Centrum haben, sind doch hoffentlich nicht blos zu dem Zwecke gegründet worden, um
mit den Piraten, dem Himmlischen Reiche und Bangkok in Fehde zu leben, sondern hauptsächlich
dazu, um Frankreich in den fernsten überseeischen Ländern Prestige und Macht zu sichern. Dort
aber ist Frankreichs Erbfeind England, dessen Achillesferse Indien bildet, das zu gleicher Zeit vom
russischen Centralasien bedroht wird: der strategisch beste Weg nach Birma führt durch Siam.
Wenn die Republik im fernen Ostasien die ihr gebührende Rolle einer Grossmacht einnehmen
will, So kann sie rasch einen hervorragenden Einfluss, dadurch gewinnen, dass :sie die Siamesen
nicht in die Umarmung Albions stösst, sondern mit Liebe an sich zieht Das beinahe schutzlose
Volk einzuschnüren oder zu beleidigen, hat wahrlich keine Berechtigung, auch wenn es im
Namen des glorreichen französisch-indischen Zukunftsreiches geschieht, das sich- dort nicht auf
Grundlage von Vergewaltigung und Blütvergiessen erheben sollte, sondern durch den Zauber
vernünftiger Selbstlosigkeit auf dem Gebiete der Politik. Nur so kann es. dem Abendländer
gelingen, den Orientalen auf seine Seite hinüberzulocken, um mit ihm Hand in Hand Werke
fruchtbarer, bedeutungsvoller Culturarbeit zu schaffen. Vermöchten sich die Centralgewalt von
Saigon und die Staatsmänner in Paris auf diesen Standpunkt zu erheben, so. würde Frankreich
in Ostasieii sofort gewaltige Popularität erwachsen. Siam würde es alsdann augenscheinlich
vorziehen, sich der chevaleresken Unterstützung der Franzosen anzuvertrauen, als sieh zum
Pufferstaat und Spielzeug in den Händen der Engländer machen zu lassen.
Dienstag, 24. März.
Seit heute früh morgens dauert schon das, Schauspiel der Einpferchung und des Fanges
der Elefanten in Ayodhya. Dasselbe ist sogar nicht besonders beeinträchtigt worden durch ein
furchtbares Gewitter mit Sturmwind und Platzregen, das heute Mittag über die Gegend sich
entladen hat In diesen Ländern, wo die Bevölkerung ewig an der frischen Luft lebt, schenkt
man einem Unwetter thatsächlich wenig Aufmerksamkeit. Mit um so grösserm Gleichmuth verhält
sich zu demselben die Menge gegenwärtig, wo der König seinen nordischen Gast grossartig
bewillkommnet.
Die Zähmung der wilden Elefanten erfolgt durchaus nicht ohne Mühe und Gefahr.
Manche sprengen mit Leichtigkeit ihre Fesseln. Ein Weibchen befreit mit seinem Rüssel ein in seinen
Banden stecken gebliebenes Junges. Das stärkste unter den Männchen vertheidigt sich wüthend; am
Seil ergriffen, stellt es sich schnarchend auf die Hinterfüsse und bringt die Pflöcke ins Schwanken,
ausser sich vor Zorn trompetet es und wehrt sich mit voller Macht. Schliesslich lockt man es mit
List nach dem Ausgang unter den Schlagbaum, schiebt vorn und hinten die Balken vor, um es
jedes Spielraums für seine Bewegungen zu berauben, dann wird der Versuch wiederholt, den
. Orientreise. II. ' ' ' . • v .v ' - ' -'0