
und culturgeschichtlichen Gegenständen zu sammeln. Unter den Ruinen von Ayodhya sollen
Schätze verborgen liegen, die nach der Verwüstung durch die Birmanen weder die Herrscher
noch der Feind selbst zu heben vermocht hätten. Kolossale metallene Götterbilder werden
immer häufiger an die Oberfläche der Erde emporgezogen. Nach dem Zeugniss des Holländers
Schouten, der im Jahre 1836 der Factorei seiner Landsleute am Menam Vorstand, gab es hier
damals 300 Tempel Zieht man die gute Arbeit ¿n den alten Bauwerken in Betracht, deren Baumeister
hauptsächlich Sklaven aus den Laosprovinzen und aus Kambodscha waren, wo sich die
Traditionen der hochentwickelten Kunst der Chmer lebendig erhalten hatten, berücksichtigt man
ferner die verhältnissmässig hohem ästhetischen Bedürfnisse des Volkes jener Epoche, so muss,
man gestehen, dass die Bauten von Ayodhya ohne Zweifel eine viel höhere Stufe der allgemeinmenschlichen
Culturentwickelung repräsentiren als alles Nachfolgende hierzulande, dessen Entstehung
schon in die Periode von Bangkok fällt Um so wichtiger muss sich hoffentlich bald
diese ältere Kunstperiode für die Forscher erweisen.
Die Feindschaft und der Kampf zwischen Birma und Siam trug von alters her zum Theil
ganz denselben Charakter wie die Beziehungen Polens zu Russland. Das Ende vom Lied war,
dass beide westlicher gelegene Reiche, anstatt sich enger zusammenzuschliessen und ihre vereinigte
Kriegsmacht gegen den Ansturm einer fremden Rasse ins Feld zu führen, es. vorzogen, mit
den stammverwandten Nachbarn in Hader zu leben, und darüber ihre politische Bedeutung
einbüssten.
Wenn die Birmanen im Anfang den Europäern, besonders den Engländern, noch nicht
trauten, so geschah dies dank dem klugen Rathe der armenischen Kauf leute, die schon seit alter
Zeit nach Indochina vorgedrungen waren und die Eingeborenen über den Einfluss der gewandten
Colonisatoren aus Indien aufklärten. Jetzt haben diese ohne besondere Mühe Birma in Besitz
genommen und blicken neidischen Auges nach dem Menam, nach welchem sie mit gewohnter
Behendigkeit und Aufrichtigkeit ebenfalls schon die Hand ausgestreckt haben würden, stände
ihnen dort nicht das über seine Interessen wachende Frankreich im Wege.
Das mittelalterliche siamesische Ayodhya, erstand im Jahre 13 5 1 unter dem berühmten König
Ramatibodhi L, den eine damals herrschende Epidemie zwang, das Regierungscentrum im Norden
des Reiches beträchtlich nach Süden zu verlegen. Zu jener Zeit beherrschten die Siamesen noch
Tenasserim mit Malakka und gründeten auf ihren Grenzmarken Wachtstädte „mit Mauern so fest
wie Diamant“ . Aus diesem Grunde geschah es auch z. B., dass der König, der damals einen siegreichen
Krieg gegen die Malaien geführt hatte, sich „goldener König“ nannte.
Je mehr man hier beobachtet, desto unverständlicher erscheint das fast vollständige
Stillschweigen, das der gelehrte oder sogar der nur wissbegierige Occident über Siam noch bis
zur Stunde bewahrt. Dies ist schwerlich einfach geringschätziges Ignoriren. Die Ursachen wurzeln
tiefer. Der Occident kann offenbar an Siam etwas nicht begreifen, wie ihm analog auch für uns
Russen eigentlich das Verständniss mangelt Die Deutschen, die Franzosen und die Engländer
erforschen und kennen Asien so gut es geht und haben ihm eine kolossale Specialliteratur
gewidmet; Russland aber, welches doch der Schlüssel zum Verständniss von Asien ist und sogar
einen Haupttheil desselben ausmacht, haben sie bisjetzt nicht begriffen und strengen sich umsonst
an, es richtig und allseitig zu definiren.
Am Menam waren und hielten sich oft längere Zeit Männer auf, die durch ihre Beobachtungsgabe
sowol wie durch ihre sorgfältigen Reisevorbereitungen hervorragen, Männer wie.
Adolf Bastian. MJnter den günstigsten Bedingungen besuchten Bangkok gebildete Vertreter der
bedeutendsten Culturländer, wie z. B. 1879 der amerikanische Expräsident Grant, 1881 Seine
Königliche Hoheit der Herzog von Genua,. 1888 der Herzog von Sutherland u. a. m. Es kamen
hierher Künstler von Namen, wie der berühmte Aquarellist Eduard Hildebrandt, und ausserdem
politische Abenteurer ohne Zahl. Jedoch keiner von ihnen hegte aufrichtige Sympathie für das
siamesische Leben und seine Rechte auf die Zukunft, keiner kam zu dem Verständniss, was aus
dem Reiche des Hauses- Tschakra-Kri eigentlich werden könnte: ein Herd des Einwirkens der von
Europa noch nicht unterjochten Elemente Südostasiens auf Birma und auf das hinsterbende Indien.
Dieses Princip bildete eigentlich für die Eingeborenen dieses erstem Landes ein Axiom, solange die
weissen Feinde es nicht zu Grunde richteten. Aus Birma gingen noch bis in unser Jahrhundert
hinein Emissäre nach Oudh, Dehli, ins Pandschab, nach Kaschmir, in die Mahrattenländer, geheime
Sendboten, welche die dortigen Regierungen aufforderten, sich zu erheben und das Volk zum
Kampf gegen die eindringenden Colonisatoren zu organisiren. Nunmehr steht der historische Beruf,
den damals die Birmanen erfüllten, Siam bevor. Solche zum Segen von vielen Millionen Landsleuten
(im weitesten Sinne dieses Wortes) gereichende Aufgaben können die Siamesen freilich
nicht allein verwirklichen. Es ist zu bedauern, dass die Beziehungen zu China, die vor zeiten
freundschaftlich waren und nach beiden Seiten hin nur Nutzen stiften konnten, gegenwärtig abgebrochen
sind und sich überhaupt in Nichts aufgelöst haben. Peking, wer immer dort regieren mag,
hat als Gravitationscentrum der Interessen von halb Asien seine Rolle noch lange nicht ausgespielt
Der Hof von Bangkok erscheint augenblicklich, nach dem stufenweisen Fall der birmanischen
Dynastie, sozusagen auf der Schwelle der indischen Welt und muss in den Augen der
vorausschauenden Diplomatie des Abendlandes plötzlich eine hervorragende internationale Bedeutung
gewinnen. Aus diesem Grunde lassen es sich denn auch die Franzosen angelegen sein, die
Siamesen wegen einer vermeintlichen Respectwidrigkeit gegen das Gebiet -von Kambodscha in
Bande zu schlagen. Aus dem nämlichen Grunde richten auch die Deutschen ihr Augenmerk öfter
und öfter auf den Menam, sie studiren das Land ganz unvermerkt als Touristen. Die der Politik
in den Gewässern des Stillen Oceans bisjetzt vollkommen fremde österreichische Kriegsflotte beehrt
nun die uferlose Rhede des Menam ebenfalls mit ihren Besuchen. Kurz vor uns ankerte dort die
Corvette „Fasana“ mit dem jungen Erzherzog Leopold Ferdinand, dem ältesten Sohne des
Grossherzogs Ferdinand IV. von Toscana.
Die russische Flagge hat sich, wie es scheint, im Meerbusen von Siam seit dem Februar
1874 nicht wieder gezeigt, also seit jener Zeit, da Contreadmiral Brümmer mit der Gorvette
„Askold“ in der Nähe Bangkoks ankerte. Der König bewillkommnete damals unsere Seeoffiziere mit
dem Ausdruck des Wunsches, Russland möchte mit Siam recht bald in Verbindung treten. Leider
beschränkte sich das Ganze auf platonische Gefühle. Das Bewusstsein von der Nothwendigkeit,
sich zu diesem Lande geistig und praktisch in nähere Beziehung zu setzen, sollte diese Annäherung
auch nur die Zukunftsinteressen ins Auge fassen, hat bisjetzt noch keinen russischen
Reisenden durchdrungen und begeistert. Uebrigens, wenn ich mich nicht irre, hat sich doch einer
eingestellt. Anderthalb Jahre vor unserer Ankunft starb im nördlichen Siam an Reisestrapazen
und Fiebern der, obwol ein Landesbürger, bei uns fast niemand bekannte, aber von den
Deutschen als gelehrter Forscher geschätzte baltische Graf Anrep-Elmpt.
Ein solches Verhältniss ist höchst befremdend. Infolge der im russischen Nationalcharakter
vorhandenen Neigung zum Wandern dürsten wir öfters nach günstiger Gelegenheit zu
abenteuerlichen Unternehmungen in aller Herren Ländern, wir schmücken nicht selten unsere
eigenen und die ausländischen Museen mit den Ergebnissen der Expeditionen in exotische Gegenden,
wo ein russischer Pionnier entschieden nichts zu suchen hat, und im Handumdrehen bleiben wir
gleichgültig gegen die Verwirklichung unserer unmittelbarsten Reichsaufgaben an den Grenzen
. Orientreise. ' II. 55 .