
sein Leben lang nicht vergessen wird, soviel Entschlossenheit, soviel Todesverachtung, soviel
Fatalismus in den unbeweglich düstern Zügen! Als diese Fanatiker des Islam sich vor alters
gegen die siamesische Regierung zeitweise empörten, gab es keine Todesstrafe, die diese
Starrköpfe niederzuhalten vermochte. Man band sie z. B. nackt an Pfähle und liess hungerige
Tiger auf sie los; die Bestien ffassen ihnen die Extremitäten ab, zermalmten ihnen die
Knochen, leckten ihnen das Blut von der Stirne, und nicht einer der Verurtheilten stiess einen
Seufzer aus oder wendete seinen Blick von dem vierfüssigen Peiniger ab. Ueberhaupt ist niemand
auf der weiten Welt so zu sterben im Stande wie der Orientale. Ein Engländer sah in
Birma einen Verbrecher, dem man den Bauch aufgeschlitzt und einen Theil seiner Eingeweide
herausgerissen hatte. Er aber streckte trotz des Todeskampfes die Hand nach einer Banane aus
und begann ruhig zu essen. Ein wegen Mordes zum Tode verurtheiltes Weib kroch freiwillig
in den Käfig eines für die Hinzurichtenden bereit gehaltenen Tigers und verbeugte sich vor der
Bestie tief, angesichts des von deren Tatze zu erwartenden Todesstreichs.
Montag, 23. März.
Heute früh fahren wir in Dampfkuttern auf dem Menam nach Ayodhya. Dort erwartet
uns ein in seiner Art einziges Schauspiel: die Einpferchung von 287 von ihrer Waldheerde von
2000 Stück abgetrennten Elefanten. Was für grossartige Schauspiele gibt es doch in Siam!
Während wir uns der alten Residenzstadt nähern (sie besteht fast ausschliesslich aus schwimmenden
Häusern, die ganze Strassen und einen Bazar längs des Stromarmes bilden), haben wir
von neuem Gelegenheit, die königlichen Pirogen mit den purpurroth gekleideten Ruderern und
Kriegern zu bewundern. Alles an ihnen ist ungewöhnlich, von dem alterthümlichen Maskerade-
costüm und den neben jedes Ruderloch gelegten Büchsen bis zu den abgemessenen Ruderschlägen
nach dem Takte einer Melodie und ermunternden Zurufen („u a !“ ), die wie der Schrei
jener Nubier tönen, die den Grossfürsten-Thronfolger an die ersten Nilkatarakte führten.
Schöne Modelle der siamesischen Königskähne waren auf der Pariser Ausstellung unter
Napoleon UL und bald danach auf der Marineausstellung zu Havre.
Ayodhya (d. h. das unbekämpfbare, unbesiegbare) hiess auf Sanskrit im tiefen Alterthum und
in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ein kolossales indisches Centrum in den Grenzen
des heutigen Oudh. Aus diesem Centrum sind zu verschiedenen Zeiten viele Radschputenkämpen,
z. B. die Fürsten von Dschodpur, hervorgegangen, ausserdem aber auch namhafte Prediger des
Buddhismus und Dschainismus. Die sagenumwehte Stadt wurde wegen der Frömmigkeit ihrer
Einwohner dreimal vollständig in den Himmel entrückt und von neuem auf die Erde zurückgestrahlt.
Trotzdem bewahrte sie einen innigen Zusammenhang mit den himmlischen Sphären
und überströmte halb Asien mit geistigem Licht Aus Verehrung für diese uralte Leuchte ihrer
Religion und für den verschwundenen Glanz des halb sagenhaften Ayodhya benannten die Siamesen
ganz willkürlich auch die Hauptstadt, die sich im 14. Jahrhundert am Menam bildete, ebenfalls
Ayodhya. Sie bereiteten damit den archäologischen Forschern der Folgezeit den Boden vor
zu allerhand Fehlschlüssen, denn Gelehrte dürften sich leicht zu der Annahme geneigt fühlen,
dass die Uebereinstimmung des Namens irgendeinen geschichtlichen Stammeszusammenhang ver-
rathe. Ein solcher ist aber nicht vorhanden. Die Völker des Orients leben aus der Phantasie,
und die stets rege Sagenbildung wandelt die Wirklichkeit ununterbrochen in jede beliebige, dem
Zuge des Herzens schmeichelnde Form um. Den vornehmsten Eingeborenen von Siam, die
mit der Vergangenheit Indiens vertraut waren, kam der Gedanke, aus ihrer neugegründeten
Grossstadt ein Centrum zu schaffen, das durch sich selbst zu ähnlichem Ruhmesglanz gelangen
sollte wie das Ayodhya des indischen Epos, und bis zu einem gewissen Grade haben sie
diesen Zweck erreicht. Dieselben romantischen Motive lagen auch der Gründung eines
zweiten Dehli (Indraprastha) im angrenzenden Kambodscha zu Grunde. Jetzt liegen beide Städte
in Trümmern, aber es geht von ihnen ein Hauch herzbeglückenden Sagenruhms aus. Aus dem
dichten Dschungel heraus geben von sich noch Kunde verödete Tempel, zerstörte Paläste und
Festungen, die dem feindlichen Ansturm nicht gewachsen waren.
Der Aufenthalt der erlauchten Reisenden zu Bang-pa-in ist so kurz bemessen, dass es uns
nicht vergönnt sein kann, die Ueberreste der frühem Herrlichkeit des Landes zu besichtigen.
Aber schon vom Flusse aus kann man von weitem dieses und jenes aus dem Dickicht hervorragende
Denkmal genügend erkennen, um daraus schliessen zu dürfen, wieviel noch im geheim-
nissvollen Dunkel des Urwaldes verborgen ruhen mag,
Die Geschichte der siamesischen Stadt Ayodhya ist interessant und lehrreich, weil sie
einerseits das politische Leben und den Schaffenstrieb der Landeseingeborenen widerspiegelt,
andererseits aber einen ziemlich klaren Einblick gewährt in manche Ursachen des immer noch
andauernden Verfalls der indochinesischen Reiche. Hätten sich diese nicht ewig gegenseitig unter
den nichtigsten Vorwänden befehdet, das Schicksal des transgangetischen Indiens, ja auch Ben-
galens und der benachbarten Länder, würde sich ganz anders gestaltet haben. Wozu dienten
z. B. die wiederholten blutigen Kriege der hiesigen Herrscher mit dem händelsüchtigen Birma?
Für einen der zwecklosesten Feldzüge darf man unter ändern den halten, den die birmanische
Armee im Jahre 1548 nach Ayodhya unternahm. Die Anstifter desselben commandirte
der Portugiese Diego Suarez de Albergaria. ' Uebrigens nahm auch der König selbst an den
ersten Kämpfen theil und erhielt sogar schwere Wunden. Die Artillerie beschoss von Elefanten
herab furchtbar die Mauern der Stadt Auf den Rath eines Griechen, eines Instructors und
Technikers, bauten die Birmanen 26 hölzerne Thürme, zündeten dieselben an und rollten sie
auf Rädern an die Feste hinan, um die Greuel des Kampfes noch zu steigern.
• Die Siamesen leisteten mit erstaunlichem • Muth und Kaltblütigkeit Widerstand, unterstützt
von einigen tausend Mann auserlesener Truppen, die man auf Java und Borneo angeworben
hatte. Da diese in Erfahrung gebracht hatten, dass der König von Birma demjenigen, der die
Hauptthore der Stadt öffnen würde, eine sehr grosse Belohnung ausgesetzt habe, rissen die
Belagerten selbst die Thore auf und verlangten unter Gelächter für sich die versprochene Summe.
Schliesslich zog der Feind ab.........
Zweihundert Jahre später fiel die unglückliche Stadt trotz des verzweifeltsten Widerstandes
und wurde von den Birmanen geplündert Diese vermochten jedoch nicht, sich im Lande zu
halten. Am Menam stieg eine neue Dynastie auf den Thron, die es mit Recht für zweckmässig
hielt, das Centrum der Administration und des Handelslebens näher ans Meer, nach Bangkok, zu
verlegen. Die Sage hat nicht gezögert, das Ereigniss auszuschmücken, indem sie erzählte, dem
damals regierenden König seien im Traum die frühem Herrscher von Siam erschienen und
hätten ihn gebeten, er möchte ihre Schatten nicht damit beunruhigen, dass er Paläste und
Tempel auf der alten Brandstätte erbaue. Die ganze Reihe der verblichenen Könige habe ihrem
Nachfolger sozusagen vorgeschrieben, nicht schicksalswidrig zu handeln und einen Ort für immer
zu verlassen, wo das Volk in dem entscheidenden Zusammenstoss mit seinen rohen Nachbarn
soviel Schmerz und Gram erfahren habe.
Die Aureole poetischen Heldenthums und geheimnissvollen Dulderloses schwebt seit
dieser Zeit über der entthronten Haupt- und Residenzstadt Den Liebhabern von Alterthümem
steht die Möglichkeit offen, in ihr auf Schritt und Tritt ein unerschöpfliches Material an Kunst