
Königs aus den Malakka-Dschungeln, die sich weitgehender Rechte der Selbstregierung erfreuen,
bilden ein Gemisch der einheimischen Bevölkerung mit den Eroberern. Ihre Nachkommenschaft
in gerader Linie bekennt sich zum Theil zum Buddhismus, nicht zum Islam. Uebrigens gibt es
auch zahlreiche Muselmänner, es sind dies die sogenannten „Sam-Sam“ (abgekürzt aus Siam-Islam?).
In der letzten Zeit kommen die Engländer, die vom Standpunkte internationaler Beziehungen jeden
Splitter im Auge des Nächsten sehen, viel zu häufig in das an die „Straits-Settlements“ anstossende
siamesische Gebiet herübergefahren. Dort erschien unter anderm erst unlängst noch in Singora,
Patani, Trang nicht sowol zum Besuch, als vielmehr zu einer recht originellen Inspection niemand
anderer als der Gouverneur von Singapur. Seine Wissbegierde entspräche vö llig dem Besuch, den
z. B. der Gouverneur des Transkaspischen Gebiets an der Spitze eines Detachements Truppen
der Stadt Meschhed oder Herat abstatten würde, oder aber auch einem Festzuge des Generalgouverneurs
der Amurprovinz nach Girin in der Mandschurei. Wie höflich und zuvorkommend
in Bezug auf ihre asiatischen Nachbarn sind doch die energischen Colonisatoren von jenseit des
Aermelkanals!
Um die Sachlage zu verstehen, darf man nicht vergessen, dass die Malaiische Halbinsel
eine alte Erwerbung Siams ist Sogar noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts sandten die Portugiesen
durch dieselbe, als siamesisches Gebiet, ihre Gesandtschaften an den Menam. Dieses
verhinderte aber nicht, dass Theile dieses Landes unter die Herrschaft zuerst der indischen
Regierung, dann unter diejenige von Singapur geriethen. Bangkok hatte eben weder früher,
noch hat es jetzt die Macht, einer rohen Vergewaltigung thatsächlichen Widerstand entgegensetzen
zu können.
Unsere Kähne halten in ihrem Lauf etwas inne und schaukeln sich auf der von Feuern
glänzenden, etwas aufgeregten Fläche eines kleinen, künstlichen Sees.
Ein finsteres Gebäude erhebt sich hinter dem See. In der Nähe des Ufers stehen
Barken mit einer einheimischen wehmüthigen Musik. Auch wimmelt es hier von nichtsiamesischen
halbcivilisirten Unterthanen, Männern und Weibern, die Seine Majestät seinem Gaste
zu zeigen wünscht. In de? phantastischen Beleuchtung ist das Aeussere dieser Menschen
höchst typisch und eigenartig. Sie haben thatsächlich mit den Autochthonen der südostrussischen
Grenzprovinzen riicht wenig Gemeinsames. Es ist das auch kein Wunder, wenn man
die russische Ethnogenie kennt Warum sollten die Eingeborenen des nördlichen Siam nicht
sichtbarlich mit manchen charakteristischen Volkselementen des russischen Reiches Verwandtschaft
haben? Der Raummangel gestattet hier keine Auseinandersetzung über die ethnographische
Buntartigkeit der halb unabhängigen und erst auf der Stufe der Halbcultur lebenden Stämme
Indochinas. So stark an den Niederungen des Menam das malaiische Blut vertreten ist, ebenso
stark wiegt in den Laosprovinzen das mongolische vor. Aus Yünnan und Setschuan kamen einst
die Vorfahren dieser nordsiamesischen Halbwilden, im Norden leben die Rassengenossen und die
noch bis vor kurzem nicht zu Chinesen gewordenen Stammeselemente der Laos. Wenn man die
sehr markanten Gesichtszüge beobachtet und dabei die nebelhafte historische Vergangenheit der
Mehrzahl der nördlichen Vasallen des siamesischen Hofes etwas näher in Betracht zieht, so wird
dem Ohr und Auge eines Russen sofort ein gewisser organischer Zusammenhang klar, der
zwischen manchen dieser Nordsiamesen und zwischen den Kalmückenhorden des Mittelalters, sowie
mit den Katschin-Tataren des Jenissei-Gouvernements nicht etwa nur in Bezug auf gleichartige
Völkernamen (wie „Kamuk“ , „Katschin“ ), sondern auch in tieferer Beziehung herrscht. Ein Theil
der Bewohner dieses südlichen Landes weist nach einer ganz bestimmten Ueberlieferung auf den
Weg hin, auf welchem sie aus ihrer Urheimat in den Süden zogen. Sie gelangten nomadisirend
aus dem Lande Tungu, dem unermesslichen Grenzgebiet von Ostsibirien und der Mandschurei,
wo seit alten Zeiten die nun im Aussterben begriffenen Tungusenvölker hausen, durch wasserlose
furchtbare Sandwüsten, d. h. durch die Gobi, in das nördliche Grenzgebiet von Indochina.
Die Abhängigkeit der Bewohner von Laos von dem König am Menam ist für sie nicht
drückend. Sie werden von ihren eigenen Fürsten („phya“ ) regiert Diese sind so zahlreich
wie die titulirten Edelleute des Kaukasus oder die Vertreter der russificirten muhammedanischen
Geschlechter in der moskowitischen Periode der russischen Geschichte. Zum Zeichen ihrer Ergebenheit
senden die Naturvölker Nordsiams nach Bangkok blos einige Geschenke, die in ihrer Symbolik
wahrscheinlich nicht weniger poetisch sind als die „goldene Rose“ (bunga mas), welche die
malaiischen Centren der Halbinsel Malakka alle drei Jahre hierherschicken.
Was sind das doch für typische Menschengestalten, die an uns vorübergleiten, während
wir von Barke zu Barke, von Floss zu Floss schwimmen! Das singt, das klatscht in die Hände
und tanzt nach eigenartiger Musik, ein Volk, das hellfarbiger ist als die Siamesen, aber
immer noch ein sehr braunes Volk! Ein dunkelblaues Baumwollkleid, wie es die JBauern
Südchinas tragen (Bluse, Gurt und Kniehose), bedeckt die wohlgestaltete, stämmige Figur der
Männer. Selten nur erblickt man Gewebe von brauner oder Chocoladen- oder Orangefarbe.
Hübsche Mädchen, mit langen, blumengeschmückten, am Scheitel kranzförmig zusammengelegten
Zöpfen, rothen, gemusterten Seidenjäckchen und gestreiften Röcken bilden zwischen den jungen
Burschen manche hervorstechende Gruppe. Unter dem Zauber düsterer, zugleich aber stürmisch
wilder Melodien und einer eigenartigen Musik aus der zwei Klafter langen Bambusorgel
der Laos gewinnt die Wirklichkeit um uns her besondern Reiz. Der Bass der Orgel,
der mit den Stimmen der Schalmeien und Flöten verschmilzt, tönt feierlich in dem Glanze
der heutigen Festnacht, unter den Strahlen des tropischen Mondes. Worauf bezieht sich aber
die leidenschaftliche Klage, die das Orchester und der Chor dieses merkwürdigen Naturvolkes
in so einschmeichelnden Weilen erschallen lässt? Besingen die Musikanten und die Sänger
vielleicht die glänzende Vorzeit ihres Vaterlandes, jene Zeiten grauer Vergangenheit, als die
Nordvölker von Siam den Gewalthabern am Menam noch nicht gehorchten, nicht in Demuth
sich den Entscheidungen der-ihnen zugesandten Gouverneure aus Bangkok fügten, weder von
seiten Annams noch Birmas Bedrückungen ertragen wollten, sondern selbst bis ins ferne Tonkin
auf Ruhmesthaten ausgingen? Weht uns nicht aus dieser lebhaft gesticuürenden Jugend der
Heldenmuth jener Stämme entgegen, die sich einst durch die Wüste Gobi bis hierher in den
gesegneten Süden Indochinas durchschlugen?
Soviel ich im Gespräch über die Laos erfahren konnte, sind sie Buddhisten, stehen aber wahrscheinlich
dem Lamaismus näher als der ceylonesischen oder siamesisch-birmanischen Confession.
Belege dafür gibt es, wie mir scheint, in Menge. Sie errichten und verehren „Obos“ , d. h. Steinhaufen
auf den Höhen, zu dem Zwecke, hier bei der Durchreise den Genien des Ortes zu opfern.
Sie führen, ganz wie die Tibetaner und Mongolen, Zaubertänze auf, wobei sich ihre Bonzen als
schreckenerregende Gottheiten verkleiden, um die Geister des Bösen zu bannen. Jede Familie
bestrebt sich, dem geistlichen Beruf wenigstens einen Knaben zu widmen, die Geistlichkeit hat
das Recht, über ihr Privateigenthum zu verfügen, die gelehrtesten Mönche erscheinen dem Volke
als wahre Verkörperungen der allvollkommenen höhern Wesen (der Buddhas) u. s. w.
Unsere Kähne setzen ihren Flug von Gruppe zu Gruppe, von Chor zu Chor fort
Trommeln und Hörner erfüllen die Luft mit zwar fremdartigem, aber angenehmem Klang.
Die Männer und Frauen tauchen als bunte Schatten auf und verschwinden geheimnissvoll im
Purpurnebel der die Scene beleuchtenden Feuerstösse. Als wir uns endlich auf den Heimweg
begeben, da treten uns aus der Dunkelheit als wie zum Abschied, schärfer , als all die übrigen
Gestalten, einige wie aus Bronze gegossene Malaien entgegen, mit Gesichtern, dass sie einer
Orientreise. II. 54