
wird, spottet jeder Beschreibung. Manche erlauchte Persönlichkeiten und überhaupt hervorragende
Reisende sind in der letzten Zeit in Siam mit ungezwungener Liebenswürdigkeit und Hochachtung
empfangen und aufgenommen worden. Vielen hat man mit vollster Bereitwilligkeit das
Land von seinen sympathischsten Seiten her gezeigt. Und doch existirt darüber in der europäischen
Literatur und Tagespresse fast keiri Wort der Anerkennung; ausser unbegründeten
Anekdoten und Phantasieschilderungen ist über das Land von gebildeten Vertretern des Abendlandes
nur wenig geschrieben worden. Diese haben vielmehr den Siamesen für all die Gastfreundschaft,
für all das Wohlwollen, das sie in jenem Lande genossen, keineswegs mit Dank
gelohnt. Es ist freilich für den Fremden schwierig, sich während eines kurzen Aufenthalts mit
der in Augenschein genommenen Wirklichkeit in dem Grade heimisch zu machen, dass er über
dieselbe ein völlig gesundes und competentes Urtheil abzugeben vermag. Indessen würde es
offenbar doch schon der einfache Anstand erheischen, über etwas, das man entweder nicht kennt
oder nicht zu verstehen vermag, lieber zu schweigen, als bona fide Pasquille und Caricaturen
über das ganze Königreich herauszugeben. Intelligente Siamesen sind wohlberechtigt, über einige
Schriftsteller, die es unlängst auf sich genommen haben, Europa und Amerika mit ihrem Lande
bekannt zu machen, mit Empörung zu sprechen.
Den Empfang in Bang-pa-in leitet mit meisterhaftem Verständniss der im Oberstenrang
stehende Bruder des Königs, Prinz Sonapantid.
Um fünf Uhr begeben sich Ihre Hoheiten mit Seiner Majestät sammt dessen ganzem Stab
und Gefolge auf die breite Veranda einer Terrasse vor einem der Hauptpavillons, wo sich auf
einem geräumigen Platze das, Volk der Umgegend versammeln wird, um den nordischen Gast zu
bewillkommnen. Die Ehrenbezeigung wird einen einfachen, begeisterten Charakter haben, der
allein der Gefühlsausdruck einer Volksmasse ist, die nichts von Politik weiss, sondern mit
aufrichtigen Sympathien nur für das lebt, was ihr geistig verwandt ist, ünd deshalb auch nicht
mit solchen Verkehrs vortheilen, mit solchen Segnungen der Civilisation droht, mit denen der
Weisse gemeiniglich den Orient zu beglücken geneigt ist. Russland hat in Asien keine oder
sollte keine Solidarität der Lebensinteressen mit Mächten haben, die sich gelegentlich auch von
dem Blute Asiens nähren. Die eingeborene Bevölkerung des in Hinsicht auf Cultur räumlich
grössten Erdtheils erkennt instinctmässig diese wichtige Thatsache an und freut sich deshalb,
wie es in Indien der Fall war und zweifellos auch noch weiterhin sein wird, herzlich der
günstigen Gelegenheit, die ihr gestattet, vor dem Erstgeborenen des Weissen Zaren ihr sanftes
Herz zu offenbaren. Die Erinnerung an den freundschaftlichen Empfang, den Seine Kaiserliche
Hoheit zu Bang-pa-in von, seiten der harmlosen, friedliebenden Anwohnerschaft des Menam
gefunden hat, wird hoffentlich nicht minder in "unserm als im Herzen der Siamesen fortleben.
Die exotischen Farbenreize, die auf diesem Gemälde haften, stehen in unvergleichlichem Einklang
mit unserer enthusiastisch gehobenen Stimmung. Doch wozu mit Reflexionen und Synthesen
beginnen? Zweckentsprechender ist es, auf die interessanten Einzelheiten selbst überzugehen . . .
An sichtbarer Stelle nimmt neben dem Grossfürsten-Thronfolger der König Tschulalong-
korn Platz, umgeben von seinen Kindern, von denen eines hübscher und lieblicher ist als das
andere. Der Kronprinz von Siam, Tschau-Pha-Mahavadschirunit, ein schöner Knabe von dreizehn
Jahren, benimmt sich in der Gruppe seiner Geschwister in seiner Uniform mit bemerkens-
werther Würde und scheint1 nach seinem Gesichtsausdruck schon ganz erwachsen. Einzig seine
kleine Figur verräth sein jugendliches Alter. Die kleinen Brüder des Kronprinzen tragen Jasminkränze
(Mali) auf dem Haupte, das bis auf eine zusammengerollte, mit einer goldenen Nadel
befestigte Locke glatt geschoren ist. Dieser Kopfputz wird bis zum Knabenalter getragen.
Vor der Terrasse pflanzt man eine Stange mit einer rothen Bewillkommnungsinschrift zu
Ehren des Grossfürsten auf. Alsdann ziehen die Eingeborenen beiderlei Geschlechts und jedes
Alters in einer endlosen Reihe herbei: in den Händen die Gaben, die sie reinen Herzens zu
opfern gewillt sind.
Da schleppt einer einen
Käfig mit irgendeinem
kleinen Thiere oder mit
Vögeln, dort einer
Früchte oder Gemüse,
dort wieder einer eine
Rolle Gewebe oder ein
pyramidenförmiges Kissen
einheimischen Musters.
Eine Volksmenge
von zweitausend Seelen
erfüllt nach und nach
mit Anstand und ohne
Lärm den Raum vor
uns, verneigt sich andachtsvoll,
stellt seine
bescheidenen Gaben
hin und kauert nieder,
in beschaulicher Erwartung,
bis die Zurückgebliebenen
sich beeilen
, ihre Geschenke
ebenfalls darzubringen.
Seine Kaiserliche Hoheit
braucht nur' irgendetwas
aufmerksamer zu
betrachten, so bringt
man es, auf einen Wink
Seiner Majestät, hurtig
näher. Die Sachen sind,
offen gesagt, werthlos,
aber gerade ihre -Un- is«m3CS?Ni!.
bedeutendheit verleiht
ihnen einen unschätzbaren
Reiz. Zwischen den zahllosen Shawls und Panungs der Menge, zwischen diesen gutmüthig
lächelnden Gesichtern mit rosigen Wangen machen sich besonders die geschenkten Thiere bemerkbar.
Unter ihnen befinden sich die buntesten Vögelchen, die in den verschiedensten Tönen einander
zurufen und zwitschern. In einem Körbchen steckt eine vor Schreck erstarrte kleine
schwanzlose Ratte; hartnäckig sucht ein drolliges, grünes Papagaichen mit schwarzen schnurrbartähnlichen
Streifchen am Schnäbel sich unbemerkt zu befreien; eine zappelnde Eule ist auf diese
Orientreise. II. * • ■- •• - 53