
Sonnabend, 21. März.
Gestern war Galadiner im Palaste *1 schakra-Kri, wobei der König die Gesundheit Seiner
Majestät des Zaren und Ihrer Majestät der Kaiserin trank. Seine Kaiserliche Hoheit der Grossfurst-
Thronfolger erwiderte mit Toasten auf den erlauchten Gastgeber und die Königin von Siam.
An der Tafel nahmen fast ausschliesslich die nächsten Verwandten des Königs theil, die
uns alle, wie z. B. der junge Prinz Svasti, durch die Tiefe ihrer Bildung und die Feinheit ihres
Wesens bezauberten. Europa hat sie sichtlich in geistiger Beziehung nicht unterjocht, sondern
auf die angeborenen Fähigkeiten und den edeln Charakter der Mitglieder der einheimischen Königsfamilie
nur einen fruchtbaren Einfluss ausgeübt. Und das ist auch kein Wunder! Schon der
Vater Seiner Majestät des Königs Tschulalongkorn galt mit Recht für einen bedeutenden Mann.
In frühester Kindheit von der Thronfolge ausgeschlossen, widmete er sich dem Mönchsleben,
brachte es zu tiefer Gelehrsamkeit, studirte
ausser der für die südlichen Buddhisten heiligen
Palisprache und dem Sanskrit die hauptsächlichsten
indochinesischen Dialekte und
machte sich im Verkehr mit Marineoffizieren
leidlich mit dem Englischen, sowie im Umgang
mit katholischen Missionaren mit dem
Lateinischen bekannt Die Krone fiel ihm
erst in der Neige seiner Jahre zu, aber unmittelbar
aus dem Kloster heraus unternahm
er voll Muth und humaner Gefühle Reformen,
erkannte die Nothwendigkeit der Aneignung
der wichtigsten materiellen Formen
der abendländischen Civjlisation und verschaffte
sich bald einen geachteten Namen als
eifriger Förderer der Wissenschaft und der
Volksbildung. Leverrier, der Director der
Pariser Sternwarte, gab vof der ganzen gebildeten
Welt die Erklärung ab, dass dieser
Herrscher von Siam im Jahre 1868 allzu früh
starb, weil er sich in die Fieberregionen auf
der Halbinsel Malakka begeben hatte, um zu
PRINZ SVASTI.
den Erfolgen der französischen astronomischen Expedition zur Beobachtung der Sonnenfinsterniss
persönlich beizutragen. Der verhältnissmässig betagte Monarch war dem dortigen Klima nicht
gewachsen und erlag den Strapazen. Wie würde er frohlocken, wenn er die Erfolge seiner Nachkommenschaft
erblickte und mit ansehen könnte, wie das ganze Land die Bahn des allmählichen,
normalen Fortschritts betreten hat!
Die Halle, in welcher der König seinen hohen Gast bewirthet, ■ entfaltet noch mehr
Pracht als alles andere im Tschakra Kri. Nur ein Umstand ermüdet das Auge durchwegs und
beeinträchtigt die fröhliche Stimmung ganz wider Willen: überall herrscht die rothe Farbe.
Wände und Plafond wirken nach und nach auf das schwermüthigste; für den Europäer ist dergleichen
auf die Dauer ganz unerträglich.
In den Sälen, welche die Schatzkammer Seiner Majestät bilden und unter anderm die
seltensten chinesischen und japanischen Porzellane bergen, werden abends unsere Blicke gefangen -
durch das Erscheinen der Königin Savangwadhanä. Die erhabene Frau ist eine feine, lichte Gestalt
von jugendlichstem Aussehen, wiewol , sie schon 28 Jahre zählt und die Frauen unter den Tropen
sehr früh zu altern pflegen. Mit Ordensband und -Sternen, mit Diamanten reich geschmückt, im
Brocatgewand und dem „Panung“ , grosse weisse Strümpfe und Schnallenschuhe tragend, trat die
Königin Savangwadhanä aus den innern Gemächern, die erlauchten Reisenden zu begrüssen, und
gestattete dann der Suite des Grossfürsten-Thronfolgers gnädigst, sich ihr vorzustellen.
Ganz unähnlich der Mehrzahl der orientalischen Völker kennen die Siamesen keine Abgeschlossenheit
des schönen Geschlechts im strengen Sinne dieses Wortes.
Auf heute ist die Besichtigung
der Sehenswürdigkeiten Bangkoks festgesetzt.
Bei der jetzt herrschenden Hitze
scheint das Vergnügen während der
Ausflüge selbst gar nicht so gross als
nach denselben, wenn sich die Empfindungen
negativen Charakters ein wenig
ausgeglichen haben. Die Besichtigung der
Haupt- und Residenzstadt beginnt mit
den königlichen Pagoden: der Buddhismus
spielt eben die maassgebende Rolle
im Leben dös Landes. Man darf, ohne
zu übertreiben, sagen, dass auf ihm alles
Humane und Gute im Volke beruht. Die
Weite des Gesichtskreises, das Wohlwollen
gegen die Ausländer, die religiöse
und sociale Toleranz ihnen gegenüber:
alle solche Eigenschaften haben
sich die Siamesen unter der Herr-:
Schaft der Lehren Schakyamunilpf erworben.
Indessen erlitten seltsamerweise
katholische Missionare zuweilen sogar
dort :r spontane Verfolgung. Woran
mochte es liegen? Am Ausgang des
1 6. Jahrhunderts wurde z. B. in Siam
ein als Gefangener aus Kambodscha mitgebrachter
Dominicaner Namens Fonseca
hingerichtet. Uebrigens hielt dies ^ d i e -Königin v o n siam.
bald nachher viele aus Japan vertriebene
Christen nicht ab, überall in Hinterindien Zuflucht zu suchest, und noch, bis auf den heutigen
Tag leben am Menam Abkömmlinge derselben, die das Aeusserc von Emigranten aus dem: B e i
reiche des „Landes der aufgehenden Sonne“ bewahrt haben.
Von Paris aus nach dem ihm angewiesenen Coclainchina reisend, erkannte der Bischof
Mgr. de Bdrythe, der Welt unter dem Namen Pierre.de la Motte: Lambert bekannt, einer der
selbstverleugnungsvollsten Franzosen, die grosse Zweckmässigkeit einer Wirksamkeit, die von
Ayodhya, der damaligen Hauptstadt Siams, raus auf das Königreich' Annam ausgeübt werden
könnte. Er gelangte 1662 hierher, nachdem er mit seinen Missionaren auf einer fünfandzwanzig-
monatigen Wanderschaft zu Fuss den gefahrvollen, unheimlichen Weg von Surate an den Bengalischen
Meerbusen und von Tenasserim an den Menamstrom zürückgelegt hatte. Hätte damals