
nie gesehener Schönheit strahlende, von jeher auf jeden Ankömmling sanft wirkende, weltabgeschiedene,
freie Siam!
Im Hintergründe des luxuriösen Empfangssäales erblickt man auf einem halbkreisförmigen
Podium einen eigenartigen Thron. Der Boden des Prunkgemachs ist mit farbigen Marmorquadraten
ausgelegt, durch die Fenster strömt hoch von oben Halblicht, massive Lustres verleihen mit ihren
Lampen der in orientalischem Stile ornamentirten Zimmerdecke ein ziemlich unpassendes europäisches
Gepräge. Die Mauerwände sind gegliedert durch Säulen, ähnlich denen an der Paradetreppe.
Fünf Stufen führen zum Throne, über welchem sich ein hoher Sonnenschirm mit sieben immer
kleiner und kleiner werdenden Baldachinen erhebt. Ueber den zwei Pforten zu beiden Seiten des
Herrschersitzes prangen Elefantenköpfe, die je zu drei über jeder Pforte zusammengewachsen sind
ungefähr wie beim Trimurti im brahmanischen Indien. Die Köpfe selbst zeigen ineinander verschlungene
Stosszähne und über ihnen die Krone von Siam. Ausserdem lenken dem Atrium
entlang Candelaber von aussergewöhnlichen Dimensionen die Aufmerksamkeit auf sich, ferner Ehrenschirme,
alterthümliche königliche Waffen und Schilde, endlich zwei Gemälde aus der Geschichte
des Verkehrs von Siam mit Europa oder vielmehr mit Frankreich, das hartnäckiger und manchmal
auch roher als alle ändern Nationen an die Thore Siams gepocht hat. Um so seltsamer kommt
es einem vor, wenn man an den Wänden des Palastes Tschakra Kri die Arbeit abendländischer
Künstler erblickt, die grelle Darstellung des Empfanges von Gesandtschaften, welche alles daran
setzten, das Band enger zu schlingen, welches die gänzlich andersgeartete, ferne, überseeische
Fremde mit dem Lande am Menam verbinden sollte.
Die erlauchten Reisenden treten mit dem König und den rangältesten Prinzen in das
Empfangscabinet, wo die feierliche Investitur Ihrer Hoheiten mit den einheimischen Ordenszeichen
stattfinden soll. Ihre Majestät bittet den Grossfürsten, das in den Augen des siamesischen Volkes
heilige hellgelbe Band des „Tschakra Kri“ anzulegen, jenes Ordens, der ausschliesslich den Landesherren,
den Brüdern und Söhnen des Königs zum Geburtstage verliehen wird, gewissermaassen
also des St. Andreas-Ordens der indisch-buddhistischen Länder. Dem Prinzen Georg von
Griechenland wird der Weisse Elefantenorden des ersten Grades überreicht.
Wenn man im Auge behält, dass „tschakra“ nichts anderes bedeutet als „Rad“ , „Kreis“ ,
„Sonne“ , gelegentlich aber auch den „feurigen Diskus“ des Donnerers Indra, d. h. das Symbol der
alles zertrümmernden Macht im Kampfe Irans und Turans um die Oberherrschaft über Südasien,
so erscheint die Ceremonie der Beleihung des Erstgeborenen des Weissen Zaren mit diesem wichtigen
orientalischen Orden der „Weltherrschaft“ auch vom culturgeschichtlichen Standpunkte aus als
hochbedeutsam. -Unter dem Worte Tschakravartin stellt sich ja der Inder, der Chinese, der
Mongole ein im höchsten Grade vollendetes Wesen vor, das in körperlicher Hülle in die Erscheinung
tritt, um die Menschheit zu regieren. Tschakravartin bedeutet nämlich im Sanskrit einen
„der die Räder seines Wagens ungehemmt über alle Länder rollen lässt“ , einen „Weltherrscher“ .
Mit dem Ordensbande übergibt Seine Majestät dem hohen Gaste zugleich die Originalurkunde,
welche wörtlich also lautet:
„Somdetsch Phra Paramindr Maha Tschulalongkorn, König des nördlichen und südlichen
Siam mit den anliegenden Ländern, bekleidet den Russischen Thronfolger mit der Würde eines
Ehrenritters des hochheiligen Ordens des Hauses Tschakra Kri von Siam. Möge dieselbe dem
Grossfürsten-Thronfolger in alle Zukunft Befriedigung gewähren! Möge die allerhöchste Kraft
der Welt Seine Kaiserliche Hoheit in ihren Schutz nehmen und ihn jedes Segens theilhaftig
werden lassen!
„Dieser Befehl ist erlassen an unserm Hofe Tschakra Kri Mahaprasad in Bangkok. Freitag
den elften Tag des Neumondes des Mondmonats Bahunain, des Jahres Kharn, des zweiten der
Dekade, des 1250. der astronomischen Aera von Siam, welches Datum entspricht dem 20. März 1891
in Europa, am 8165. Tag und im 23. Jahr meiner Regierung.“
Altväterische Galaequipagen mit Bedienung in grellrother Tracht warten an der Paradetreppe,
um die erlauchten Reisenden in den für sie eingerichteten Palast Saranrom zu überführen.
Seine Majestät geleitet die hohen Gäste zu Wagen dahin. Eine Escadron Ulanen in Scharlach-
uniformen, dunkelblauen Hosen und ohne Sporen, mit weissen Fähnchen, auf starken, grossen
Pferden australischer Zucht bildet das Geleite des königlichen Wagens. Am Palaste Saranrom ist
eine Ehrenwache aufgestellt Der mit dem Grossfürsten-Thronfolger von Singapur her bekannte
Generalmajor Prinz Krom Mun Damrong Radschanufab, Minister der Volksaufklärung oder vielmehr
der geistlichen Angelegenheiten (d. h. der Vorsteher der Klöster und Mönche, der Centren
der Theologie und der Lehrer des Volkes), empfängt Seine Kaiserliche Hoheit am Eingang zu
dessen Gemächern. Beim Anblick der strammen siamesischen Soldaten hat man jedesmal das
Gefühl der Befriedigung. Man überzeugt sich hier mit eigenen Augen, wie leicht es ist, den uns
Russen charakterverwandten Asiaten militärischen Geist einzuprägen, sobald sie anfangen, sich mit
der abendländischen Kriegskunst bekannt zu machen. Die Regierung von Bangkok verschreibt
sich vernünftigerweise Instructoren aus Dänemark, aus Italien, ¡ 8 nur nicht von ihren natürlichen
Feinden, den Engländern und Franzosen. Obwol im Lande seit alters her die allgemeine Militärdienstpflicht
besteht, reisen doch Offiziere speciell zu dem Zwecke im Reiche herum, um die
zum Dienst tauglichste Mannschaft auszuheben, und das Endergebniss ist bisher ein vorzügliches
Material. Noch bis vor kurzem nahmen in den Reihen der siamesischen Musterarmee die Anna-
miten, darunter Christen aus Cochinchinä, nicht den letzten Platz ein. Der Bestand der Armee
beläuft sich auf 1 2—18000 Mann: die Garnison von Bangkok auf 3000.
Die königliche Flotte ist im Wachsen begriffen. Die Siamesen sind im Schiffbau sehr
geschickt Sie besitzen eigene Werften (vor Jahren schickte man einheimische Chinesen aus
Bangkok nach Bombay, um dort die Schiffbaukunst genauer kennen zu lernen) ; ebenso fehlt es
niç^t an Wünschen, wol aber an Mitteln, sich zu Hause in allem darauf Bezüglichen auf
grösstem Fusse einzurichten. Die Matrosen werden hauptsächlich unter den Malaien auf Malakka
angeworben, aber auch aus der Nachkommenschaft der kriegsgefangenen Birmanen oder der
Einwanderer aus Kambodscha. Sogar die Bewohner der nördlichen, ziemlich gebirgigen und vom
Meere entlegenen Provinzen des Landes, die sogenannten Laos, treten lieber unter die Matrosen
ein als die Bewohner der Flussniederungen Siams.
Ueber die Leichtigkeit, das siamesische Militär in Disciplin und überhaupt in Drill ZU
nehmen, haben sich schon vor zweihundert Jahren französische Offiziere ausgesprochen, Edelleute,
die an den Menam gesandt worden waren, um dort die Interessen ihrer Regierung zu
vertheidigen. Diese fand es damals noch rathsam, im Namen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. an
den König von Siam zu schreiben: „très-haut, très-excellent, trés-püissant, et très-magnanime
prince, nôtre très-cher et bon-ami, Dieu veuille augmenter vôtre grandeur“ . Heutzutage legt man
in Paris kein Gewicht auf freundliche Beziehungen zu Siam, während doch der Unterschied
zwischen der relativen Macht und Weltlage Frankreichs von damals und heute recht scharf in die
Augen fällt. Allerdings hatte man damals noch die Fähigkeit und das Bedürfniss, höflich zu sein!
Nach der Siesta während des Tages begeben sich die erlauchten Reisenden in den an ihren
Palast anstossenden Park, in welchem einige kleinere Pagoden mit ungewöhnlich langen Thurmspitzen
stehen, die mit den farbigen Feuern ihrer gleichsam emaillirten Facetten in der Sonne
glitzern. Auf künstlichen Hügelchen erblicken wir eine Gruppe von Pavillons, Kiosken und Lauben.
■ Orientreise. II.