
Nerbudda im Dekhan und solche von der Kaveri ‘ in der Präsidentschaft Madras weissagen, dass bald
statt des Ganges ihre Ströme die Frommen änziehen werden, da diesen noch viel grössere sünden-
tilgende Kräfte innewohnen. Einstweilen ist aber von einem solchen Umschwung, noch nichts zu
bemerken. Millionen von Wallfahrern strömen in besonders heiligen Stätten am Ganges zusammen
und tragen bis in weite Fernen grosse Krüge mit dem wunderwirkenden Wasser, um daheim
die Lippen Schwerkranker und Sterbender damit'zu erfrischen. Noch immer gibt es . Gläubige,
die für eine Pradakschina schwärmen, für einen Bittgang an den Ufern des Ganges. Die fromme
Uebung besteht darin, von der Quelle des Stroms bis zur Mündung und von hier auf dem ändern
Ufer zurück zu Fuss zu wandern. Manche der diesen Weg wandelnden Pilger werfen sieh vor
jedem Schritt aufs Angesicht und -thum von der Stelle aus, wo ihre Stirn die Erde berührte, einen
Schritt vorwärts, um sich wieder niederzuwerfen. Eine solche Wallfahrt dauert gewöhnlich sechs
Jahre. -- Unter' denselben Erschwerungen und ähnlichen asketischen Gebräuchen pflegen viele tibetanische
und mongolische Buddhisten ihre durch ungeheure Entfernungen getrennten heiligen
Stätten zu besuchen.1“ '
An dem fast 3000 Kilometer langen Laufe- des Ganges lassen es sich die Hindus nicht
genügen; überall ■ suchen sie nach einem geheimnissvollen Zusammenhang von Wasserbecken mit
dem heiligen Strome. Kraft • seines' festen Glaubens vermag der Hindu den unterirdischen Lauf
des unerschöpflichen' Stromes hinzuleiten, wohin er will. Deshalb werden nicht wenige Brunnen
als vom Ganges gespeist betrachtet. Wol der • berühmteste dieser ist der Brunnen in Gangä-
kandapura bei Tritschinopoli in der Präsidentschaft Madras.
Ein merkwürdiges, in seiner Art einziges Schauspiel entfaltet sich vor uns. Das alte Benares,
der Hört indischer Rechtgläubigkeit, rückt mit seinen hellgrauen Tempeln und Palästen immer
näher. Auf dem ändern Ufer dehnt sich ein breiter Streifen gelben Sandes. In einer grossen
Biegung Wendet sich der Strom der Stadt der Götter zu. Dumpf und abgemessen hallt von der
hohen Terrasse eines nahen Tempels der Klang eines Gong, dichte Volksscharen strömen zusammen.
Die Menge vereinigt die Befriedigung ihrer brennenden Neugierde, den russischen Thronerben zü
sehen, mit der Erfüllung religiöser Pflichten. Die Uferstrecken und die zum Wasser hinabführeriden
gigantischen Treppen, die Ghats, sind mit Städtern und Wallfahrern überfüllt
- Der silberklare-Bergstrom ermattet in seinem raschen Laufe, je weiter er sieb von seirier
eisigen Quelle, entfernt. Allmählich nimmt er die Farbe der Erde an, und langsam wälzen "'sich
seine Wassermassen dem Meere zu. Der Wunderkraft thut die Färbung des Wassers keinen Eintrag.
Auf den Treppen und am Strome ist eine Menge Volks jeden Alters und Geschlechts
in steter Bewegung. Der eine taucht andachtsvoll unter, der andere bleibt betend, in' Ekstase versunken;'
ein dritter schöpft sich das heilige Wasser in einen geräumigen Krug. Wieder andere
schleppen einen- Kranken herbei. Ein altes Männchen hat'sich gemächlich im Schatten eines
riesigen Sonnenschirms, deren am Gangesufer viele sind, niedergelassen. Ein zarter Junge mit
sanften träumerischen Augen, eine goldgestickte Sammtmütze auf dem Köpfchen, wartet auf
seine Mutter, die'gerade mit den religiösen Waschungen beschäftigt ist Hier gibt es für die
Badenden weder Kaste noch Vorurtheii noch das Bleigewicht althergebrachter Sitte,, die. vpr
allem dem . Schönen' Geschlecht Indiens die' Einhaltung der strengsten Lebensregeln auferlegt Die
schamhafte, in- ihren Gemächern- wie gefangene Gattin eines vornehmen Hindu, die nie einem
Fremden-ihr Antlitz- enthüllen d a r f— auf der Ghät nimmt sie ohne Furcht den Schleier ab und
steigt so in den langersehnten Strom, in dessen Fluten jeder der Gottheit näher rückt Selbst in